Veröffentlicht am 25. Oktober 2024

Allerheiligen – ein sozio-kulturelles Ereignis

Kommentar von Leo Lugmayr

Ich lasse den Allerheiligentag nicht aus. Ich fahre am Nachmittag des 1. Novembers szur Andachtszeit an das Grab meiner Eltern – das ich auch während des Jahres regelmäßig besuche –, aber an diesem Tag nicht nur aus Anstand und Sohnespflicht, sondern auch deswegen, weil ich dort nach der Andacht meine Jugendfreunde und Jugendfreundinnen (wie schön unverdächtig doch das Gendern ist …) treffe, die das Schicksal in alle Windrichtungen zerstreut hat und die es – genauso wie mich – am Allerheiligentag an den Ort der Gräber ihrer Eltern zurückmahnt. Viele von ihnen treffe ich nur einmal im Jahr, eben aus diesem Anlass.
Was mich immer sehr nachdenklich stimmt, ist die Tatsache, dass ich in der Grabesinschrift meiner Vorfahren meinen Namen lese, weil mein Vater mich, seinen erstgeborenen Sohn von sechs Kindern, auf seinen eigenen Namen Leopold getauft hat. Memento mori (lateinisch: „Gedenke zu sterben“), fällt mir dazu stets ein, ein Spruch, der im Mittelalter formuliert worden war, um an die eigene Sterblichkeit zu erinnern.
Das Totengedenken ist ja von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. So wird etwa in Mexiko der Allerheiligentag als „Día de los Muertos“ (spanisch „Tag der Toten“) mit Ausgelassenheit auf Friedhöfen in Festtagsstimmung und schaurigen Verkleidungen gefeiert; ein Brauch, der auf vorchristlichen Traditionen fußt. Wer jemals das Meer an roten Kerzen in einem mexikanischen Friedhof gesehen hat, der wird diesen Anblick nicht mehr vergessen.

Das Volk der Toraja auf der indonesischen Insel Sulawesi geht so weit, dass die Toten regelmäßig von den Hinterbliebenen exhumiert und gereinigt werden. Schließlich werden für sie hölzerne Nachbildungen vor den in hohen Felswänden angebrachten Grabnischen aufgestellt, damit sich der Verstorbene im Blick auf das Dorf der Treue seiner Witwe versichern kann. Das behaupten vielleicht auch nur böse Zungen. Nun gut, bleiben wir im Ybbstal.

Friedhöfe kann man wie Geschichtsbücher lesen. Sie erzählen Familiengeschichte, geben Auskunft über Kindersterblichkeit genauso wie über tragische Ereignisse und Kriegsgeschehen. Im Ybbsitzer Friedhof erschließt sich die Geschichte von Schmiedefamilien, deren Tradition in geschmiedeten Installationen anstelle von Grabsteinen verewigt ist. Der Konradsheimer Friedhof mit seinen schmiedeeisernen Kreuzen ist immer – besonders aber zur Allerheiligenzeit – eine Reise oder eine Wanderung wert. Alle Friedhöfe erzählen, wie Menschen mit Gedenken umgehen.

Wir haben uns für die Ausgabe bereits überlegt, auf Allerheiligen insofern vorzubereiten, indem wir die Geschichte der Waidhofner Friedhöfe erzählen. Dafür danken wir dem Vorstand des Musealvereins, zuvorderst Primarius Alfred Lichtenschopf, der die geschichtliche Recherche dafür präzise vorgenommen hat.
Die Herbstblätter fallen, vieles in der Natur stirbt ab. Allerheiligen war immer und ist eine Zeit des Nachdenkens, die jede Kultur für sich definiert. Es ist ein Tag der Erinnerung und der Begegnung. Ein sozio-kulturelles Ereignis.

Veröffentlicht am 25. Oktober 2024

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