Kommentar von Herausgeber Leo Lugmayr
Wir erleben dieser Tage Politik vor allem als Auseinandersetzung und als Streit. Das kann man aus drei Blickwinkeln heraus sehen und bewerten: Einerseits bedeutet es, dass Streit mehr Aufmerksamkeit bekommt als erreichter Konsens oder ausgehandelter Kompromiss. Andererseits ist Streit aber auch eine Art Wettbewerb, was besonders vor Wahlen sichtbar wird. Streit ist schließlich auch entsprechend spannend. Immer öfter stößt Streit bei den Menschen auf Ablehnung.
Kommt die Kontroverse nämlich im Alltag der Menschen an, dann wird sie schnell belastend und mühsam. Vor allem dann, wenn es um gegensätzliche Interessen etwa von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf der einen Seite und Unternehmen auf der anderen Seite geht. Erst diese Woche haben die Arbeiterkammer und deren Bezirksstellenleiter Herbert Grurl darüber informiert, wie groß im abgelaufenen Jahr die Erfolge der Arbeiterkammer waren, wenn es um das Erwirken von Rechten und Ansprüchen ihrer Mitglieder ging. Dabei war eines bemerkenswert: Grurl betonte, wie groß im Bezirk der Anteil an einvernehmlichen Lösungen ist, wenn es darum geht, Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber Unternehmen geltend zu machen. Das liege, so Grurl, vor allem am guten Gesprächsklima zwischen Arbeiterkammer und Unternehmen. „Ein vergleichsweise sehr gutes sozialpartnerschaftliches Klima im Bezirk“, nannte er es wörtlich.
Das offizielle Österreich begeht heuer die Jubiläen „80 Jahre Kriegsende“ und „70 Jahre Staatsvertrag“. Wenn Historiker ihren Fokus auf die Fünfzigerjahre richten, dann schwingt in der Betrachtung sehr bald das Wort „Sozialpartnerschaft“ mit. Nach den Kriegswirren, dem damit erlebten Leid und der sichtbaren Zerstörung des Landes war die Sozialpartnerschaft zwischen Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund und Landwirtschaftskammer einer der Wirtschaftsmotoren, vor allem aber der soziale Kitt zwischen Vertretern unterschiedlicher Interessen und Gruppierungen.
„Der Dialog zwischen Arbeitnehmervertretung und Unternehmen passiert im Bezirk auf Augenhöhe und unter gegenseitigem Respekt.“ Das ist ein Satz, den die Presse heuer schon fast gleichlautend von Wirtschaftskammerobmann Gottfried Pilz und Arbeiterkammer-Bezirksstellenleiter Herbert Grurl gehört hat. Und das ist bemerkenswert, bringt er doch ein hohes Maß an gegenseitiger Anerkennung zum Ausdruck. Apropos Jubiläen. Ein drittes Jubiläum sollte heuer nicht vergessen werden: „30 Jahre EU-Beitritt Österreichs“. Der „Vater des EU-Beitritts“, ÖVP-Vizekanzler und Außenminister Alois Mock aus Euratsfeld, und SPÖ-Staatssekretärin Brigitte Ederer haben am 17. Juli 1989 gemeinsam – und dabei jede politische Differenz überbrückend – Österreichs Antrag zum Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft eingereicht. Dazu gibt es ikonische Bilder.
Das Erfolgsrezept damals wie heute: Respekt und bei aller inhaltlicher Differenz ein Begegnen auf Augenhöhe. Vielleicht wäre das auch eine gute Anleitung für eine kommende Regierungzusammenarbeit.