Veröffentlicht am 13. September 2024

Dirndlgwand und Tattoo

Kommentar von Herausgeber Leo Lugmayr

Es ist eine spannende Überlegung, ob es zu jeder Zeit Verhaltensweisen und Moden gegeben hat, die alle Alters- und Gesellschaftsschichten überspannt, ja diese erkennbar verbunden haben. Der Anblick beim Dirndlgwandsonntag, der vergangenen Sonntag bei Kaiserwetter in vielen Gemeinden gefeiert wurde, lässt trefflich darüber nachdenken.

Einst gab die Trachtenmode genau über Stand, Herkunft, Familienstand und oft auch über Alter und Beruf der Person Auskunft. Die schwarzen Kopftücher der Bäuerinnen und die Goldhauben der Bürgerinnen markierten sehr wohl deren Stand. Heute wird meist das getragen, was gefällt.

Die farbenprächtigen Trachten, die einst ein selbstverständliches Festtagsgewand und dann lange bei der Jugend verpönt waren, werden wieder mit Stolz angezogen. Lederhosen sind längst nicht mehr nur Burschen vorbehalten. Trachtenanzüge halten sich in ihren Mustern und Stoffen an keine gesellschaftlichen oder geografischen Vorgaben mehr.

Wenn man die vergangenen Jahrzehnte vor dem geistigen Auge Revue passieren lässt, dann fallen da gleich mehrere Moden oder Gewohnheiten auf, die über alle Alters- und Gesellschaftsschranken hinweg verwendet wurden. So waren die Blue Jeans und die langen Haare der jungen Männer zur Zeit der „Beatles“ Ausdruck des Protestes und damit auch gesellschaftliche Trennmarken. Heute sind beide längst selbstverständliches Gemeingut.

Als in den Neunzigerjahren die ersten Mobiltelefone aufkamen, waren diese „schweren Prügel“ angesichts ihres Preises zuerst einer wohlhabenderen Schicht vorbehalten. Es dauerte aber nicht lange, und die „Handys“ eroberten spätestens mit dem Siegeszug der Smartphones alle Schichten der Bevölkerung jeden Alters. Heute lässt sich von der Marke des Mobiltelefons kaum noch ein Rückschluss auf die Person, die es benützt, anstellen.
Im nächsten Schritt machten sich die Sozialen Medien – dank der Mobiltelefone – in allen Altersstufen jeden Geschlechts und unabhängig vom sozialen Status breit. Erst Facebook, dann YouTube, WhatsApp, Instagram, Tiktok, WeChat, Reddit, Linked­In, Telegram, SnapChat, Signal, X (vormals Twitter) und schließlich BeReal, die Reihe ließe sich beliebig fortsetzen.

Seit einigen Jahren boomen nun schon Tätowierungen. Zuerst waren sie Statements revoltierender junger Menschen. Längst haben die Tattoos den Siegeszug durch alle Schichten und Altersgruppen angetreten. Historisch gibt es übrigens Tattoos seit Jahrtausenden. Die 5.300 Jahre alte Gletschermumie „Ötzi“ weist allein 61 Tätowierungen auf, auch wenn diese von Historikern nicht als modische Accessoires, sondern als medizinische Akupunkturmale gedeutet werden. Die Maoris, die Ureinwohner Neuseelands, tragen in Gesichtstattoos seit Jahrtausenden ihre Stammesgeschichte zur Schau.

Am Dirndlgwandsonntag konnte man sehen: Dirndl­gwand, Trachtenanzug und Tattoo sind längst kein Widerspruch mehr. Moden und Gewohnheiten kommen und gehen wieder, auch wenn sich Tätowierungen nach Abflauen dieser Mode nicht so leicht in einen Schrank wegschließen lassen wie das Dirndl­gwand.

Veröffentlicht am 13. September 2024

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