Veröffentlicht am 21. Februar 2025

Freiwilliges soziales Engagement in einem politisch höchst unruhigen Land

Viele junge Menschen in Österreich – Männer wie Frauen – absolvieren ein Freiwilliges Soziales Jahr, um neben dem gesellschaftlichen Engagement die eigene Persönlichkeit zu formen und weiterzuentwickeln und/oder sich Klarheit über den weiteren beruflichen Werdegang zu verschaffen. Die Aufgabengebiete dabei sind vielfältig und reichen von Sozialem über Gesundheit bis Bildung. Weit über die Komfortzone einer heimischen Organisation hinaus hat sich Levi Resch aus Waidhofen gewagt. Seit September leistet der 18-Jährige den Freiwilligendienst in Georgien, einem Land mit großen politischen Unruhen, ab. Für Redakteurin Karin Novak zeichnet der Absolvent des Seitenstettner Stiftsgymnasiums ein aktuelles Stimmungsbild von Land und Leuten und erzählt von seinem bereichernden Volontariat

Levi Resch zVg

Wieso haben Sie sich für ein Sozialjahr im Ausland entschieden und warum gerade Georgien?
Ich denke bei einem Einsatz im Ausland lernt man nicht nur andere Kulturen kennen, man lernt auch sich selbst besser kennen. Das ist ein Grund, warum ich mich bei „Volontariat Bewegt“, einer Initiative von „Jugend Eine Welt“, dafür beworben habe. Der Grundtenor, dass mit Bildung Armut überwunden werden kann, passt zu meinem politischen Denken. Es ist so, dass man natürlich seine Präferenzen und Wünsche äußern kann, letztendlich entscheidet aber die Persönlichkeit, die man ist, mitsamt den Vorerfahrungen darüber, wo man am bes­ten hinpasst und eingesetzt wird. Ich arbeite in einem Kinder- und Jugendfreizeitzentrum in Kutaissi mit. Die drittgrößte Stadt Georgiens ist von der Größe her vergleichbar mit Innsbruck.

Volontariat basiert auf Unentgeltlichkeit. Wie finanzieren Sie sich Ihren Aufenthalt?
Unterkunft und Essen werden bezahlt, darüber hinaus gibt es für die 35-Stunden-Woche ein kleines Taschengeld von 50 Euro im Monat. Wenn man ein wenig Erspartes hat, ist das von Vorteil.


Wie sieht ein Tag bei Ihnen in Georgien aus?
Ich teile mir mit einer Nieder- und einer Oberösterreicherin, die ich noch zu Hause im Vorbereitungskurs kennengelernt habe, eine Wohnung. Unser Tag beginnt mit einer zehnminütigen Fahrt in einer Marschrutka, so nennt sich dort der Kleinbus, ins Jugendzentrum. In Georgien gehen die Kinder zwischen sechs und zehn Jahren vormittags in die Schule, die größeren dann am Nachmittag. Unsere Arbeit beginnt um etwa elf Uhr. Zu Beginn verpacken wir Brot und Brioche in Sackerl, die von Menschen, die die Suppenküche in Anspruch nehmen, abgeholt werden. Einen Stock höher gehen wir dann in die Klassenräume und fragen, ob jemand Unterstützung bei Englisch- oder Deutsch-Hausübungen braucht. Nach den Hausaufgaben spielen wir mit den Kindern entweder „Dachutschobana“ (georgisches Verstecken-Fangen-Spiel), gehen raus oder basteln gemeinsam, wie etwa zu Weihnachten. Wenn dann nach der „Sadili“-Glocke alle gegessen haben, beginnt der Rhythmus für uns wieder von vorne mit den größeren Kindern. Um sechs sind wir wieder zu Hause. Meine Kolleginnen und ich kochen meistens noch am Abend und für mich geht es manchmal auch noch in die Musikschule in Kutaissi.

Wenn Sie Kindern bei den Hausübungen helfen, wie funktioniert die Verständigung? Sprechen Sie Georgisch?
In Georgien haben Kinder Unterricht in Georgisch, Russisch und Englisch. Meist kommt dann noch eine weitere Sprache dazu, entweder Deutsch, Französisch oder Türkisch. Das ist wirklich beeindruckend, wenn man bedenkt, dass die drei Erstgenannten ja alle ein eigenes Alphabet haben. Wir hatten einen georgischen Sprachkurs und haben einiges gelernt, gerade in Bezug auf unsere Arbeit. Auch wenn die Sprache der jeweiligen anderen wegen der Unterschiede für alle Beteiligten schwierig zu lernen ist, macht es den Kindern auch oft Spaß, uns auf Georgisch abzuprüfen und wir sie auf Englisch – so lernen wir alle etwas.

Wie hoch ist das Durchschnittseinkommen in Georgien?
Wenn ich recht informiert bin, liegt das bei etwa 550 Euro. Die Lebenshaltungskosten sind im Vergleich zu Österreich zwar niedriger, im Verhältnis zum Lohn aber für die Georgier wesentlich teurer als bei uns. Das ist mit ein Grund, warum sehr viele Leute ins Ausland gehen, bevorzugt nach Deutschland und Italien. In einem Taxi hat der Fahrer auf einmal mit uns Deutsch gesprochen und erzählt, dass er dreimal im Jahr für zwei Monate nach Deutschland zum Arbeiten geht. Das Geld schickt er dann nach Hause. 1.500 Euro sind in etwa 4.500 Lari, das entspricht etwa drei Monatslöhnen.

Wie sieht Ihre Freizeitgestaltung – gerade auch an den Wochenenden – aus?
Georgien ist sehr vielseitig. Und wir haben das Privileg, geografisch sehr günstig zu liegen: Das Schwarze Meer erreichen wir in zwei Stunden, das liegt quasi vor der Haustüre, der Nord- und Südkaukasus sind ganz super zum Wandern. Ich kann wirklich jedem empfehlen, dieses Land zu erkunden. Außerdem hat das Land eine sehr alte und vielseitige Kultur, die zu entdecken sehr spannend ist. Zum Beispiel ist Georgien das erste offiziell christliche Land. Auch interessant: Georgiens einzigartige und geschichtsträchtige Weinproduktion in Amphoren in der Erde. Der Weißwein ist schwerer als unserer, der Rotwein wiederum hat eine ganz andere Note, aber mir schmecken sie. Wenn wir unsere Kollegen im Caritas-Zentrum in Tiflis besuchen, bekommen wir auch ein wenig vom Nachtleben der Hauptstadt mit. In der jungen alternativen Techno-Szene haben wir schon sehr viele nette Leute kennengelernt. Viele von ihnen teilen auch ihre Sorgen um die Zukunft ihres Landes.

Die politische Lage in Georgien ist äußerst unruhig. Wie nehmen Sie sie wahr? Fühlen Sie sich sicher?
In Georgien herrscht politisch eine Ausnahmesituation, hier geht es nicht um irgendetwas, es geht um die Zukunft eines ganzen Landes und seiner Leute. Nach dem Zerfall der Sowjetunion ging es dem Land sehr schlecht. Ein schwieriger Demokratisierungsprozess wurde durchgemacht – geprägt vom nicht geklärten Verhältnis zu Russland. Das hat sich bis 2008 dahingehend aufgeschaukelt, dass Russland Georgien in einem kurzen Krieg angegriffen hat und seither 20 % der Landesfläche besetzt. Die pro-russische Regierungspartei Georgischer Traum hat ein „Transparenzgesetz“ durchgebracht, in dem NGOs, die über 20 % aus dem Ausland finanziert werden, alles offenlegen müssen, was nichts anderes ist, als die Organisationen an ihrer Arbeit zu hindern und so die Zivilbevölkerung auszuhöhlen. Das löste massive Proteste aus, die nach den Wahlen im Oktober 2024, die offiziell Minis­terpräsident Irakli Kobachidse gewonnen hat, noch stärker wurden. Er hat umgehend den Annäherungsprozess zur EU eingestellt. Die EU und Wahlbeobachter hegen Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Wahl und auch die georgische Präsidentin anerkennt die Wahl nicht. Seither demonstrieren die Menschen täglich in nahezu allen Städten, auch den kleineren. Junge Leute stellen sich mutig gegen das Regime und sind deshalb mit Polizeigewalt, Einschüchterungen und willkürlichen Verhaftungen konfrontiert. Die Sorge um ihre Zukunft lässt sie weitermachen. Obwohl man mittlerweile etwas müder wird. Von den anfänglich 50.000 Demonstrierenden in der konservativen Stadt Kutaissi sind es nur mehr wenige Hunderte, die täglich auf die Straße gehen. Parallelen zum ukrainischen Maidan werden gezogen und Russland als große Bedrohung wahrgenommen. Diese Stimmung kriegen wir schon sehr stark mit und sie belastet uns, auch wenn wir eher als Außenstehende wahrgenommen werden. Von unserer Organisation sind wir angehalten, nicht auf die Proteste zu gehen – meine Gedanken sind dennoch dort.

Wie schauen Ihre Zukunftspläne nach Ihrer Rückkehr im Juni aus?
Ich hoffe, dass ich viel von dem in den zehn Monaten Gelernten und Erfahrenen mit nach Hause nehmen und es in Ruhe sortieren kann. Im Sommer werde ich dann Ferialpraxis machen und im Herbst in Wien zum Studieren anfangen. In welche Richtung genau es gehen soll, wird sich noch weisen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wordrap

  • Die berühmten Drei für die einsame Insel: ein Zelt, etwas zum Feuermachen, meinen Bruder
  • Mein Sehnsuchtsort: Paris
  • Wen ich gerne einmal treffen würde/getroffen hätte: Adelheid Popp (Anm.: österreichische Frauenrechtlerin der Ersten Republik)
  • Team Hund oder Katze: Hund
  • Serientipp für ein verregnetes Wochenende: Unorthodox
  • Mein letztes Konzert: SKAZZ (eine Post-Sowjet- Rockband aus Kutaissi)
  • Was ich schon immer einmal tun wollte, mich aber nicht getraut habe: extravagante Kleidung tragen
  • Meine Henkersmahlzeit: Ajapsandali (georgischer Aubergineneintopf)
Veröffentlicht am 21. Februar 2025

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