Beachtenswerte Doppellesung im Waidhofner Rathaussaal

Ihre Karrieren könnten unterschiedlicher nicht sein, dennoch fügten sich ihre Lesungen aus jeweils eigenen Werken am Mittwoch, 21. Mai, im großen Sitzungssaal des Rathauses der Stadt Waidhofen wie selbstverständlich zu einem Ganzen.
Elfriede Schüsseleder und Fred Eichleter gaben im Rahmen des Viertelfestivals eine beachtenswerte Doppellesung. „Sie gehören zu den Wurzeln der Stadt, und das ist nicht übertrieben“, spannte Moderator Alfred Lichtenschopf den Bogen. Die Veranstaltung war Teil des von Inge Janda und Petra Müller und dem Musealverein zusammengestellten Beitrags „Begegnungszone Oberer Stadtplatz“ für das diesjährige Mostviertelfestival.
Vom U-Booterl zum „Stadtreimer“
Fred Eichleter, langjähriger Mitarbeiter und bis zur Pensionierung Marketingleiter der Raiffeisenbank Ybbstal, war schon vor seinem Unruhestand umtriebiger Dichter kritischer bis ironischer Zeilen, etwa im U-Booterl des „Boten von der Ybbs“, dessen Autorenschaft lange bestens gehütetes Geheimnis der Stadt war, bevor seine gesammelten Werke auch in Buchform erschienen. Mit „Fred‘s Stadtreimereien“ begeistert er wöchentlich die Leserschaft im „Ybbstaler“.
Ganz anders Elfriede Schüsseleder, die auf den Brettern, die die Welt bedeuten, als Schauspielerin eine ganz große internationale Karriere gemacht hat: Ob am Theater in der Josefstadt, im Stadttheater von Aachen oder in Klagenfurt, sie hat eine Vielzahl von Hauptrollen verkörpert, das Gretchen in Goethes Faust, die Luise in Schillers Kabale und Liebe, das Klärchen in Goethes Egmont, um nur einige im klassischen Fach zu nennen. Im modernen Fach spielte sie in Stücken von Sartre, Schnitzler, Kohout und Hochhuth. Ihre besondere Liebe gilt den Nestroy-Stücken. Sie hat alle größeren Frauenrollen bei Nestroy verkörpert. So wurde sie auch für den Nestroy-Preis nominiert. Sie stand mit den ganz Großen des Genres Otto Schenk, Klaus Wildbolz, Niki Ofczarek oder Joachim Bißmeier auf der Bühne und vor der Kamera. Sie war immer wieder in Filmen zu sehen, in „Detektive“, die „Lottosieger“, „Blind ermittelt“, „Schnell ermittelt“, „Die Toten vom Bodensee“, zweimal im Tatort, weiters in Soko Donau oder in einer Komödie mit Roland Düringer.
Aus dem Reich von Schüsseleders Mutter
Die geborene Waidhofnerin, die in der großen Welt ihren ganz individuellen Weg gemacht hat, kehrte nun zu einer Lesung in ihre Heimatstadt zurück. Denn aufgewachsen ist sie in einer Schneiderfamilie in Waidhofen am Unteren Stadtplatz. Über ihre Mutter hat sie ein berührendes Buch mit dem Titel „Das Reich meiner Mutter“ geschrieben. Sie beschreibt darin den Lebensweg einer beeindruckenden Frau, deren harte Kindheit im Ersten Weltkrieg, gepeinigt von einer damals unheilbaren chronischen Erkrankung, die ihr das Bein versteifte. Mit unglaublicher Willensanstrengung, mit Geduld und Fleiß hat sie allen Einschränkungen zum Trotz das Schneiderhandwerk gelernt und am Unteren Stadtplatz mit ihrem Mann lange einen Schneiderladen geführt. Aus dieser Biografie las sie berührende Passagen.
Fred Eichleter entführte in seinen Gedichten und Balladen in die innere und äußere Welt der Stadt. Er thematisiert in seinen Gedichten alles, was der autochthonen Waidhofnerschaft hoch und heilig ist: die Buchenbergkapelle, das Stadtcafé Hartner, den Ybbstal-Radweg (auch schüttelreimend mit „Wenn ich auf dem Radlweg einmal meine Wadln reg …“) bis hin zur historisch gesicherten Frau von Reichenau, die im 19. Jahrhundert auf makabere Weise aus dem Scheintod geweckt wurde. Dass er bereits im November 1996 die erst im Vorjahr realisierte Auflassung der Waidhofner Geburtenstation humorvoll kommentierte und bereits vorausahnte, beweist, wie sehr er lyrisch den Puls der Zeit fühlt.
Der Abend, durch den Alfred Lichtenschopf das Publikum im ausverkauften Saal mit fein recherchiertem Fachwissen eloquent und elegant führte, war für die Gäste ein Hochgenuss an Erinnerung, Teilhabe und leichter Ironie, der sich nicht besser zu einem Ganzen hätte fügen können. Dass Regina Maderthaner und Peter Benovic die musikalischen Zäsuren zwischen den Vorträgen, etwa mit feiner Musik von Astor Piazzolla setzten, gab dem Abend eine zusätzliche hochwertige Stimmungsnote.