Veröffentlicht am 20. Dezember 2024

„Ich bin überzeugt, die Zeitung hat Zukunft!“

Interview mit ehemaligen Chefredakteur Fritz Stummer

„Ich bin überzeugt, die Zeitung hat Zukunft!“ Wenn es weihnachtet, lässt auch der Jahreswechsel nicht mehr lange auf sich warten. Endlich Zeit, um auf das zu Ende gehende Jahr zurückzublicken. Ein äußerst bewegtes, in vielerlei Hinsicht emotionales 2024 liegt hinter dem ehemaligen Herausgeber vom „Ybbstaler“ Fritz Stummer. Nach 41 Jahren ging er als längst gedienter Chefredakteur Österreichs in Pension und sah sich noch im März dieses Jahres gezwungen, die Traditionszeitung, die am 4. Februar 1886 zum ersten Mal erschienen ist, aufzulassen. Die Anstrengungen eines Konsortiums wussten das zu verhindern und so kann der Neo-Rentner erleichtert die vergangenen Monate Revue passieren lassen und entspannt auf das schauen, was nun kommen mag. Bei einem herrlichen Espresso in seiner Küche hat er genau das mit Redakteurin Karin Novak getan

Fritz Stummer mit der ersten Ausgabe des „Boten von der Ybbs“

Wie geht es dir? Pensions-Schockstarre oder Un-Ruhestand?
Die Pension gefällt mir überraschend gut. Ich darf ja noch ein bisschen mitarbeiten und ab und zu etwas schreiben, auch mal einen Leitartikel, dadurch habe ich keinerlei Entzugserscheinungen. Und dann bleibt jetzt Zeit etwa fürs Theaterspielen. Das ist eine große Leidenschaft von mir, der ich im aktiven Berufsleben nicht so nachgehen konnte, wie ich wollte. Als Journalist ist man oft am Abend oder am Wochenende unterwegs, genau zur Probenzeit. Das habe ich jetzt nicht mehr und darf deshalb im kommenden Jahr sogar eine Hauptrolle bei den Schlosshofspielen übernehmen. Die Volksbühne gibt eine italienische Komödie, basierend auf der Idee von William Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung“. Ich spiele einen alten Wirt mit drei Töchtern.

Kommen wir zurück zur Zeitung: Vom „Der Bote von der Ybbs“ zum „Der Ybbstaler“ – ein kurzer historischer Rückblick …
Die erste Zeitung ist am 4. Februar 1886 erschienen. Der Gründer war Freiherr von Henneberg, der bereits 1873 eine Druckerei in Waidhofen errichtet hatte. Mein Großvater stammte ursprünglich aus einer kleinen Ortschaft bei Melk, hat dort Schriftsetzer gelernt und wurde in der russischen Kriegsgefangenschaft auch als solcher eingesetzt, weshalb er perfekt Russisch sprechen konnte, also Kyrillisch in Wort und Schrift. Als er nach dem Ersten Weltkrieg zurückgekommen ist, hat er in den späten 20er-Jahren begonnen, peu à peu die Anteilsscheine der Druckerei aufzukaufen. Irgendwann in den 30er-Jahren war er dann Alleininhaber der Druckerei und somit der Zeitung. Mit dem Aufstieg Hitlers und dem Dritten Reich wurde die Zeitung als Organ der Nazis von Goebbels gleichgeschaltet. Von 1945 bis 1955 hieß sie dann Ybbstaler Wochenblatt, Organ der demokratischen Einigung, und stand aufgrund der russischen Besatzungsmacht unter kommunistischer Herausgabe. Mein Großvater hatte in der Zeit Hausverbot, ist allerdings Besitzer geblieben. Aus den Erzählungen meines Vaters weiß ich, dass er alles, was die Russen geredet haben, selbst Dialekt, verstanden hat. Er gab das aber nie zu, weil er Angst hatte, als Kollaborateur zu gelten, weil er seinerzeit ja Kriegsgefangener bei den Weißrussen, den Feinden der Bolschewiken, war. Ich bin 1956 geboren und habe daher nur ein paar schattenartige Erinnerungen an meinen Großvater. Aber er muss eine sehr prägende Persönlichkeit gewesen sein. Mit dem Unterzeichnen des Staatsvertrags 1955 hat er die Zeitung sofort am nächsten Tag wieder als „Bote von der Ybbs“ herausgegeben. 1961 ist er gestorben und mein Vater hat übernommen, ab 1983 dann ich. 2003 sind wir mit der Druckerei in Konkurs gegangen. Der Masseverwalter hat die Verlagsrechte des „Boten“ sofort an die NÖN verkauft und ich hob die Zeitung „Der Ybbstaler“ ebenfalls sofort in der Tradition des „Boten“ aus der Taufe.

Wie hat sich das Zeitungmachen im Lauf deines Berufslebens verändert?
Gewaltig! Früher waren Fotos mit enormem Aufwand verbunden. Zuerst das Foto machen, Film rausnehmen und entwickeln lassen, dann nach Linz in eine Klischeeanstalt schicken und warten, bis das Klischee zurückgekommen ist. Da hat man im „Boten“ vielleicht ein, zwei Fotos abgedruckt, zum Beispiel wenn der Bürgermeister samt neuem Gemeinderat angelobt wurde. Heute ist das völlig anders. Jeder hat ein Handy und jeder Vereinsmitarbeiter macht Fotos und schickt diese an die Zeitung. Und auch die elektronischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung, des Texte-Schreibens, das sind die wesentlichen Änderungen. Natürlich insgesamt die Schnelllebigkeit unserer Zeit. Da hält eine traditionelle Lokalzeitung, wie es eben „Der Ybbstaler“ ist, ein wenig dagegen. Sie lebt von den kleinen Dingen des Lebens, von dem, was die Menschen vor Ort bewegt. Dass Putin in der Ukraine einmarschiert, das ist tragisch, aber das ist nicht unser Thema. Unser Thema ist, wer die Lehre erfolgreich abgeschlossen hat und ausgezeichnet wurde oder wenn irgendein Seniorenverein mit dem Autobus eine Reise macht oder eine Kindergartengruppe neu eröffnet wird.
Für diese Themen ist „Der Ybbstaler“ der Begleiter der Waidhofner, der Ybbstaler, der Menschen der Region. Darum bin ich so stolz, dass eine Übernahme gelungen ist, weil eine eigene Zeitung, die aus der Mitte heraus von den Menschen vor Ort für die Menschen vor Ort gemacht wird und nicht von Wien, St. Pölten oder Linz aus, auch ein Faktor der Lebensqualität einer Stadt, einer Region ist.

Was sind die denkwürdigsten Storys aus deiner Ära?
Eine war sicher die Eröffnung des Buchenbergtunnels. Für mich deshalb denkwürdig, weil es eigentlich e in großes Volksfest war. Über die ganze Länge des Tunnels waren Tische und Bänke aufgestellt und etwa in der Mitte war die Festbühne eingerichtet. Für die Eröffnung gab es einen sehr straffen Zeitplan. Nur hat niemand mit der Leutseligkeit des damaligen Landeshauptmannes Erwin Pröll gerechnet. Der ist reingegangen und hat sich sofort an den ersten Tisch dazugesetzt und mit den Leuten zu plaudern begonnen. Es hat eine Dreiviertelstunde gedauert, bis er überhaupt bei der Bühne angekommen ist. Das Timing war ihm völlig egal. Auch die Landesausstellung war ein prägendes Ereignis für die Stadt und hat sie weiterentwickelt. Der Aufreger um den Kubus am Schlossturm ist auch noch in präsenter Erinnerung. Ich habe ein durchgängiges Archiv von 1886 bis heute. Wenn man zurückblättert, finden sich eine Menge skurriler Storys.

Wie hast du die Zeit zwischen drohendem Ende und Übernahme erlebt?
Wir hatten einen Partner, der immer signalisiert hat, die Zeitung weiterführen zu wollen. Am Ende sahen sich die Verantwortlichen aber außer Stande, die Herausgabe der Regionalzeitung von außen aus zu stemmen und nahmen Abstand. Das war emotional wirklich nicht leicht, ich wollte ja, dass die Zeitung weitergeht und vor allen Dingen, dass meine Mitarbeiter weiter beschäftigt werden. Ich musste ihnen dann sagen, dass diese Gespräche sich zerschlagen haben und dass ich sie kündigen muss. Ungefähr sechs Tage später erreichte mich an einem Sonntagabend der Anruf von meinem guten Freund und Nationalratspräsident a. D. Wolfgang Sobotka, der schlicht sagte: „Es geht nicht, dass die Zeitung eingestellt wird, Waidhofen und die Region brauchen die Zeitung.“ Er hat dann Hebel in Bewegung gesetzt, Kontakte geknüpft, Gespräche geführt, der Rest ist Geschichte. Die heutigen Inhaber sind die Raiffeisenbank Ybbstal, Thomas Wagner von FALKEmedia und Herausgeber Leo Lugmayr. Die Erleichterung über die Übernahme war von meiner Seite sehr groß. Es hätte mir schon weh getan, wenn es die Zeitung nicht mehr gegeben hätte. Ich wünsche dem „Ybbstaler“ alles, alles Gute! Ich bin überzeugt: Die Zeitung hat Zukunft!

Wie sieht ein Tag im Leben des Pensionisten Fritz Stummer aus?
Nach einem so langen Berufsleben gibt es keinen Schalter, wo man einfach alles abdrehen kann. Es ist dennoch relativ schnell gegangen, dass ich nicht im Halbschlaf nach Formulierungen oder Ideen für einen Aufmacher gesucht habe. Vielleicht auch deshalb, weil die Zeitung ihren Firmensitz in unserer privaten Wohnung am Oberen Stadtplatz hatte. Montag, Dienstag, Freitag waren die Bürotage für die Redaktion. In diesen Räumlichkeiten haben wir mit dem Umbau begonnen und stecken noch immer drinnen. Die vergangenen
Monate sind wir in Möbelhäusern gewesen und haben statt zum Beispiel einem Schreib- einen Couchtisch, neue Teppiche, Wohn- statt Bürolicht besorgt. Das macht Spaß, weil es ein kreativer Prozess ist. Das ist das eine, das andere ist, dass wir erst vor Kurzem eine zweite Enkeltochter bekommen haben. Das hält
einen zusätzlich auf Trab. Meine Tage sind also ziemlich ausgefüllt.

Welche Pläne gibt es über die Wohnraumneugestaltung hinaus?
Ein Ziel in nächster Zeit ist, Italienisch zu lernen. Dafür möchte ich mir irgendwo in einer Stadt in Oberitalien eine Wohnung für ein, zwei Monate nehmen und vor Ort Sprachkurse besuchen. Mal schauen, ob es mir gelingt. Aber da sind noch viele andere Dinge, etwa häufiger Museen und Galerien zu besuchen oder auch gut Essen zu gehen mit der Familie und – ganz wichtig – endlich wieder Freundschaften zu pflegen, die durch den Beruf zu kurz gekommen sind. Jetzt kann man ja wegfahren und öfter mal auch über Nacht wegbleiben.

Du bist weithin als italophil bekannt: Was fasziniert dich an dem Land?
Da ist einmal die Kultur von den Etruskern über die Römer bis heute, es gibt wahnsinnig viel Kunstgeschichtliches, Historisches zu entdecken. Und dann natürlich die italienische Lebensart, das Essen, das „la vita e bella“, das hat mich immer schon fasziniert. Das erste Mal in Italien war ich als etwa Neunjähriger mit meinen Eltern. Wir sind damals nach Sorrent gefahren. Heutzutage besuchen wir immer wieder gerne die Toskana, das Piemont und generell Ober­italien. Eine ganz wichtige Stadt für die Stummer-Familie ist Venedig. Da sind wir jedes Jahr wenigs­tens einmal, ganz sicher aber zur Biennale. Venedig ist abseits der Touristen-Pfade so unglaublich facettenreich – „la vita e bella“ eben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wordrap

  • Wunschberuf als Kind: Das weiß ich nicht mehr, vermutlich weil sie mir von klein auf eingetrichtert haben: „Fritzl, du wirst mal ein Drucker.“
  • Die berühmten Drei für die einsame Insel: meine Familie (wenn sie denn mitmöchte); Papier, Pinsel und Farben; ein Ruderboot (nicht zum Fischen, zum Wegrudern)
  • Wen ich gerne einmal treffen möchte/getroffen hätte: Da gibt es einige. Zum einen alle drei Kaiser – Franz Joseph, Wilhelm II. und Nikolaus II., um sie zu fragen, warum sie so deppert waren. Dann noch Autorin Susan Sontag wegen ihrer Gabe für Essays und brillante Analysen, Dirigent Nikolaus Harnoncourt, weil er Musik so fesselnd erklären konnte, und Dichter Michael Köhlmeier, den so fantasiebegabten Erzähler.
  • Mein Sehnsuchtsort: Italien – von Genua bis Sizilien
  • Hund oder Katze: Katze!
  • Serientipp für ein verregnetes Wochenende: Jetzt wird’s a bisserl peinlich, (lacht) ich schau wahnsinnig gern die Rosenheim Cops.
  • Mein letzter Konzertbesuch: die Klangraumkonzerte von Thomas Bieber
  • Was wolltest du schon immer einmal machen, hast dich bis jetzt aber nicht getraut: dem Pfarrer bei der Predigt laut widersprechen.
  • Meine Henkersmahlzeit: Um mit der Tante Jolesch zu sprechen: „Was Fertiges!“
Veröffentlicht am 20. Dezember 2024

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