„Die Malerei ist eine Notwendigkeit, um mich auszudrücken, um überhaupt leben zu können“

Elfi Stummer, die Grande Dame der hiesigen Kulturszene, wird am 1. Jänner unglaubliche 95 Jahre. Die Mutter des ehemaligen „Ybbstaler“- Chefredakteurs stellt aktuell im Ybbsitzer FeRRUM mit 13 weiteren Künstlern aus der Region unter dem Titel „zaumgschwoaßt“ aus. Beeindruckend ist aber nicht nur das Œuvre der gebürtigen Mürztalerin, sondern ihr noch immer wacher Intellekt und ungebrochener Kampfgeist für die Selbstbestimmung der Frau. Redakteurin Karin Novak durfte die Künstlerin in ihrem Atelier besuchen. In der Stätte des kreativen Schaffens erzählt die bald siebenfache Urgroßmutter, wie sie nach Waidhofen gekommen ist, warum der 50. Geburtstag ihr kreativer Befreiungsschlag war, weshalb sie einen Rückschritt in der Frauenbewegung ortet und noch vieles mehr
Im Jahr 1950 an der Grafischen zu studieren, war für ein junges Mädchen bestimmt nicht üblich. Gab es Anfeindungen?
Nein, Anfeindungen gab es keine, aber einen Professor, der zu mir sagte: „Du darfst nicht heiraten, wenn du die Kunst wählst. Socken stopfen und malen, das geht nicht.“ Ich habe geantwortet: „Ich kann beides.“ Und ich konnte. Ich war schon immer eine Revoluzzerin, und habe meine Meinung kundgetan. Ich bin immer wieder einmal angeeckt, aber ich diskutiere einfach sehr gerne.
Dort hast du auch deinen Mann kennengelernt …
Im fünften Stock des Gebäudes waren die Künstler untergebracht und im Parterre die Drucker. Mein zukünftiger Mann hat mich gesehen und ich habe ihm gefallen. So haben wir uns kennen- und lieben gelernt und bin ich nach meiner Ausbildung nach Waidhofen gekommen. Die Liebe hatte ich nicht eingeplant, die hat mir sozusagen dazwischengefunkt. Mit der Kunst die Welt zu erobern, das musste dann für eine Zeit lang warten.
Wie lange?
Bis zu meinem 50. Geburtstag. Bis dahin musste die Kunst für den Beruf, die Familie und Kinder zurückstecken. Meine Kreativität habe ich als Grafikerin in der Druckerei gelebt. Plakate und Briefköpfe entworfen, Signet für Firmen gestaltet. In diesen Jahren habe ich schon auch viel gezeichnet, jeden Winkel in Waidhofen gemalt, an den Urlauben unzählige Skizzen – praktisch von jedem Dorf in Italien – gemacht (lacht), aber damit bin ich nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Mit dem 50. Lebensjahr hatte ich meine biologischen Pflichten erfüllt und absolvierte im Waldviertel bei Korab meinen ersten Kurs „Von der Natur zur Abstraktion“, war dann vier Wochen in Frankreich und von 1983 bis 1986 einmal im Jahr in Italien bei dem Münchner Künstler Klaus Peter Frank. Über ihn bin ich zur Acrylmalerei und zum Großformat gekommen, davor habe ich mit Feder, Bleistift, Aquarell gearbeitet. Und da bin ich dann mehr oder weniger explodiert. So ist es bis heute geblieben. Die Malerei ist eine Notwendigkeit, um mich auszudrücken, um überhaupt leben zu können. Ohne sie wäre ich verkümmert.
Wie entstehen deine Werke?
Das ist jedes Mal ein Kraftakt. Wenn ich vor der leeren Leinwand stehe, habe ich kein bestimmtes Thema. Ich spüre nur, was lange gereift ist, muss aus mir raus. Dafür nehme ich den Pinsel in die Hand und springe die Leinwand faktisch mit meinen ersten Strichen an, damit entweihe ich sozusagen die Leinwand, ihre Jungfräulichkeit. Dann atme ich durch und arbeite weiter. Nach diesem Kampf mit der Leinwand geht mir die Luft aus, bin ich müde. Dann setze ich mich mit dem Rücken zum Bild. Erst danach weiß ich, was es ist, was noch herausgearbeitet, verfeinert werden muss. Es geht hier nicht um Perfektion, sondern um das, was man spürt, nicht was man sieht, sondern was man gesehen hat. Mittlerweile fehlt mir schon ein wenig die Kraft, aber ein großes Bild drängt noch nach außen. Das gärt schon längere Zeit. Irgendwann ist es so weit.
Hattest du künstlerische Vorbilder?
Nicht wirklich. Ich war und bin immer interessiert an den Entwicklungen am Kunstmarkt, an der Kunstszene, besuche gerne Ausstellungen. Ich wusste immer, was sich in der Wiener Schule oder bei den Jungen Wilden tut. Als ich noch in Wien war, wollte ich dem Art Club beitreten. Hundertwasser war dort, auch Arnulf Rainer, den ich von der Napola (Anm. d. Red.: Eliteschule während der NS-Zeit) bereits kannte. Dazu kam es dann aber nicht mehr, weil ich nach Waidhofen ging. Um meine Batterien aufzuladen und zur Auseinandersetzung mit anderen Künstlern habe ich jedes Jahr an Symposien teilgenommen. Es ist schön zu sehen, was sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Kunst entwickelt hat. Ich selbst habe eine neue Technik – mit brauner Holzbeize und Rohrfeder – entwickelt, die ich in Kleinformaten anwende.
Gibt es Werke, die unverkäuflich sind?
Ja, gibt es. Wobei die meisten Großformate verkauft sind und bei manchen schon eine kleine Wehmut mitschwingt, dass sie nicht mehr in meinem Besitz sind. Aber ich habe Fotos archiviert und auch in Katalogen ist ein Teil abgebildet. Um manche ist mir leid, nicht weil sie so wertvoll wären, sondern weil so viel Elfi in ihnen steckt.
Ängstigen dich die Entwicklungen unserer Zeit?
Oh ja. Sie beängstigen mich sogar sehr. Die modernen Medien haben daran einen großen Anteil. So viel Hass, der gepredigt wird, so viele falsche Nachrichten, so viel Negatives anstatt Positivem. Das sind keine hilfreichen Entwicklungen, aber ich bin zuversichtlich, dass sich das Gute im Menschen durchsetzt.
Könnte die Kunst dem entgegenwirken, gar Friedensstifterin sein?
Das wäre schön, aber ich fürchte, das wird Utopie bleiben. Ohne Kunst wäre die Menschheit arm dran. Jeder Mensch hat Sehnsucht nach Schönem, nach Harmonie, nach Frieden. Das liegt in jedem. Und Kunst kann das sichtbar machen, egal ob Musik, Literatur, Tanz, Malerei. Ohne Kunst würde der Menschheit etwas fehlen.
Wäre die Welt besser dran, wenn anstelle von alten, weißen Männern Frauen das Sagen hätten?
Das ist schwer zu beantworten, denn den Beweis, dass wir Frauen es besser machen würden, haben wir nicht. Wir leben in einer Männerwelt, die Welt wird von Männern regiert und das seit Jahrhunderten. Es ist in unseren Köpfen verankert und da ein Umdenken herbeizuführen, wird mühsam und ein langer Prozess. Im Geschlechterkampf haben die Frauen immer den Kürzeren gezogen. Das aber ist das Gute an den modernen Medien, dass sie bis in die letzten Winkel der Welt kommen und Frauen überall erreichen. Schön langsam beginnen sie weltweit für ihre Rechte zu kämpfen. Wir in unserer westlichen Kultur haben schon viel erreicht, es fehlt aber noch ein großes Stück, um endlich auf Augenhöhe mit den Männern zu sein. Leider werde ich das Gefühl nicht los, dass es wieder rückwärts geht. Frauen aller Generationen müssen lernen, solidarisch zu werden.
In einem Alter, wo sich viele auf den Schaukelstuhl zurückziehen, tust du noch immer vieles zum ersten Mal. Was war dein letztes „erste Mal“?
Zum 90. Geburtstag bin ich mit meiner Enkelin für ein paar Tage nach Triest gereist. Dort gibt es einen Strandabschnitt nur für Frauen. Ich war das erste Mal auf einem Strand mit derart viel Frauenpower. Ich fand es großartig. So viele unterschiedliche Frauen – dick, dünn, groß, klein, jung, alt. Jede auf ihre Art schön.
Vielen Dank für das inspirierende Gespräch!
Wordrap
- Mein Wunschberuf als Kind: Künstlerin
- Die berühmten Drei für die einsame Insel: meine Malutensilien, gute Literatur, meine Familie
- Mein Sehnsuchtsort: Toskana, im Speziellen Siena
- Wen ich gerne einmal treffen würde: Céline Sciamma, die Regisseurin von „Porträt einer jungen Frau in Flammen“
- Team Hund oder Katze: Katze
- Serientipp für ein verregnetes Wochenende: ARTE oder 3Sat einschalten, da findet man immer etwas
- Mein letzter Konzertbesuch: Neujahrskonzert des Waidhofner Kammerorchesters
- Was ich schon immer einmal tun wollte, mich aber bis jetzt nicht getraut habe: ein Tandemfallschirmsprung
- Meine „letzte“ Mahlzeit: im Winter Steirisches Wurzelfleisch, im Sommer ein italienisches Fischgericht

