Veröffentlicht am 24. Mai 2025

Interview mit Eva Karel

Von einer Waidhofnerin, die in jungen Jahren auszog, um in der Ferne sich selbst zu suchen

Universitätslektorin, Yogalehrerin und Buchautorin Eva Karel © Karin Hackl

Eva Karel beehrt am 6. Juni für einen Kurzbesuch ihre alte Heimatstadt Waidhofen. Um 19.00 Uhr präsentiert die Yogalehrerin und Uni-Lektorin im Großen Sitzungssaal ihr drittes, erst Ende April erschienenes Buch „Alles wird gut, Oida! Nicht deppert werden in wilden Zeiten“. Nach der Matura zog es die „schon ewiglich glücklich Ledige“ hinaus in die weite Welt. Die Weltreise, die daraus wurde, war keineswegs geplant, sie passierte ihr schlichtweg, wie so vieles in ihrem Leben. Zurück in Wien macht die heute 42-Jährige ihre beiden Leidenschaften zum Beruf. Und das höchst erfolgreich. Welche Leidenschaften das sind, wie man im Leben zu mehr Gelassenheit findet und noch vieles mehr hat die Zweifachmutter und Philosophin mit Bodenhaftung und grandiosem Humor unserer Redakteurin Karin Novak in einem viel zu schnell verfliegenden Gespräch erzählt.

Dein neues Buch kommt zur rechten Zeit. Nichts brauchen wir im Moment dringender als Aufmunterung. Wie kam es dazu?
Die Idee entstand über meine Arbeit an der Uni Wien, wo ich in Schreibwerkstätten Ansprechpartnerin für Studierende bin, die sich mit dem Verfassen der Abschlussarbeit schwertun. In Einzelcoachings und Workshops habe ich mir den Ruf eingehandelt, dass ich sehr lustig sei und mein Humor bewirkt, die Problemtrance zu überwinden, weil auf einmal so viel Selbstwirksamkeit möglich wird. Und dann wurde ich angefragt, ob ich zum Thema Humor in der Schreibberatung für einen wissenschaftlichen Sammelband einen Beitrag liefern möchte. Es stellte sich rasch heraus, dass ich meine Geschichten, wie ich Leute mit Humor und Herzlichkeit zur Tat anstifte, wissenschaftlich fundiert belegen sollte. Also habe ich die Uni-Bibliothek ausgeräumt und bin dabei auf Viktor Frankl gestoßen, den außergewöhnlichen Neurologen, Psychiater und Psychologen. Frankl hat vier Konzentrationslager überlebt, war total gebeutelt vom Leben und hat es trotzdem geschafft, eine lebensbejahende Therapieform zu begründen und diese in seinem Leben selbst einzulösen. Ich habe begonnen, Frankls Ansätze mehr und mehr auf mein Leben anzuwenden, mit wirklich famosen Ergebnissen für mich. Es stellte sich eine gesunde Robustheit in mir ein, die nichts mit Realitätsverweigerung zu tun hat, sondern mit einer mutigen Interaktion mit der Welt, so wie sie eben ist – so imperfekt und herausfordernd. Meine Auseinandersetzung mit Viktor Frankl hat auch dazu geführt, mit über Vierzig nochmal an der Uni zu inskribieren – ich bin gerade dabei, den Master in Religionswissenschaft abzuschließen. Trotz der vielen Arbeit erfüllt mich das sehr und ich merke, meine Studierenden profitieren auch davon, weil ich selber wieder in der Studentinnenrolle bin.

Was willst du mit deinem Buch bewirken?
Wir hudeln wahnsinnig durch unsere Tage, teilweise wie ferngesteuert, weil wir so überstimuliert sind, von Inputs von außen und vom Tempo, das die Digitalisierung vorgibt. Ich will hier keineswegs zum Rückzug in die Höhle anleiten, weil die Moderne auch ganz viel Positives mit sich bringt. Der Lebensstandard war noch nie so hoch und der Wohlstand so weit verbreitet. Aber da sind eben auch die vielen Haken, die durch die globale Situation hervorgerufen werden. Mit dem neuen Buch richte ich den Blick bewusst auf das Schöne und Langsame, um nicht nur Spielball von Stimuli zu sein. In vier Großkapiteln habe ich ein Sammelsurium an nützlichen Tools zusammengetragen, um Probleme zu verabschieden und wieder tatkräftig mit der Welt zu interagieren, weil Passivität narrisch macht und psychisch für uns total schlecht ist. Wir sind da, um zu tun. Wir sind im Prinzip überfordert vom Komfort, der evolutionär überhaupt kein Standard ist, sondern einfach ein Kennzeichen unserer Zeit. Wir sind dafür nicht gemacht und völlig überfordert von der Auswahl. Es ist nötig, zwischendurch weniger zu machen, zu reduzieren, den Blick zu klären. Es entspricht uns einfach nicht, primär zu analysieren und zu reflektieren. Das Hirn ist prachtvoll, aber wenn wir ihm den Körper zur Seite stellen, ist alles besser. Oft reicht es, nur für ein paar Atemzüge eine Etage tiefer zu gehen, vom Hirn zum Herzen, also weniger rational, sondern sensorisch wahrzunehmen und zu agieren. Das ist wie zwischendurch auskuppeln und körperlich kurz bei sich zu landen. Das kann so etwas Einfaches wie eine Runde spazieren gehen sein, nach dem Motto „Ich trage meine aktuelle Idee spazieren oder zeige meiner Traurigkeit den Park ums Eck“. Man kann nicht Gedanken mit Gedanken lösen, es braucht schöpferische Pausen. Das ist kein Tachinieren, das ist letztlich Produktiv-Sein. Uns wird immer verkauft, wir müssten die ganze Zeit auf Spannung laufen. Das aber bringt uns langfristig ins Burnout.

Du betreibst Yoga seit einer Zeit, als es in unseren Breiten noch für etwas höchst Seltsames gehalten wurde. Wie bist du dazu gekommen?
Nach der HAK-Matura 2001 habe ich ernsthaft überlegt, buddhistische Nonne zu werden und war ein Jahr auf Sri Lanka. Im buddhistischen Meditationszentrum bin ich aber draufgekommen, die Sitzmeditation ist echt nicht meins. Diese strenge, völlig lebensverneinende Herangehensweise, mit der konnte ich nichts anfangen. Zufällig bin ich in dem Zentrum aber in eine Yoga-Stunde gestolpert. Und da hat mich der Blitz gestreift und ich wusste, okay, das ist meins, für immer, und bin eine Suchende geworden. Ich habe ein Jahr Weltreise angehängt, bin mit dem Round-the-World-Ticket bis nach Indien, in die USA und nach Australien gekommen. Das klingt vielleicht recht fancy, war aber quasi auf einer Null-Budget-Basis, weil ich überall als Freiwillige gearbeitet und dadurch fast kein Geld gebraucht habe. Bevor ich in Australien an der Yoga Academy meine Ausbildung begonnen habe, bin ich für ein paar Monate nach Indien, um mich dort noch einmal voll zu vertiefen. Zurück in Wien habe ich mit Yoga mein Studium finanziert. Den Studiengang Internationale Entwicklung haben sie, während ich weg war, praktisch für mich erfunden. (lacht) Das war perfekt für mich. Ich bin als junge Erwachsene doch sehr blauäugig auf Reisen gegangen und hatte relativ wenig Ahnung, warum die Länder, in denen ich unterwegs war, so arm sind. Im Studium wurden die globalen asymmetrischen Machtverhältnisse analysiert, aus einer historischen Perspektive, der Geschichte der Nord-Süd-Ost-West-Beziehungen heraus, wie Ausbeutungsverhältnisse auf einer wirtschaftlichen Ebene funktionieren und die sozialen Aspekte dahinter.

Du sprühst vor Lebensfreude und guter Laune: Gab es auch dunkle Zeiten in deinem Leben? Und wenn ja, wie hast du sie bewältigt?
Meine Pubertät war eine ziemlich dunkle Zeit, in der es mir psychisch überhaupt nicht gut ging. Ich konnte mit all den doch sehr materiell orientierten Lebensentwürfen, die mir präsentiert wurden, nichts anfangen. Ich war schon immer wahnsinnig philosophisch veranlagt und habe mich intensiv mit existenziellen Fragen auseinandergesetzt. Deswegen hat mich die Idee des buddhistischen Klosters so angesprochen. Eine Lehre, die ich aus dieser Zeit gezogen habe: Eine Krise kann unglaublich produktiv wirken, kann mutig machen. Die Lebensfreude nehme ich aus meinem selbstbestimmten Leben. Ich bin seit Anbeginn selbstständig und jus­tiere da auch immer nach. Ich schrumpfe mich dauernd gesund und schaue, dass das Maß passt. Ich habe auch meine zweite Leidenschaft, das Schreiben, zum Beruf und zweiten Standbein gemacht, indem ich nach dem Studium noch die Ausbildung zur Trainerin für wissenschaftliches und kreatives Schreiben im writer’s studio absolviert habe.

Eine Erfindung von dir: die Zupforakel. Was darf man sich darunter vorstellen?
Das war 2019 und auch wieder ein schöner Zufall. Meine Kolleginnen und ich haben uns Chinesisches ins Atelier bestellt. Beim Knacken der Glückskekse nach dem Essen habe ich mir gedacht: Wieso stehen auf den Zettelchen so sinnbefreite Sprüche und nicht irgendetwas Lustiges, Liebes, Anstiftendes. In den darauffolgenden Tagen sind mir laufend Sprüche eingefallen. Die habe ich aufgeschrieben und an mein straßenseitiges Atelierfenster zur freien Entnahme geklebt. Es war für mich interessant zu sehen, wie viele Vorübergehende stehen geblieben sind, gelächelt oder geseufzt oder sich zerkugelt haben. Irgendwann habe ich einen Anruf gekriegt, dass man mich in meinem Heimatbezirk zur Heldin von Hernals gewählt hat, weil ich mit meinen Zupforakeln einen Beitrag zum Gemeinwohl leiste. Seit einigen Monaten kann man sich auch welche in Waidhofen am Hohen Markt beim Henry Laden pflücken. Meiner Lektorin ist irgendwann aufgefallen, dass ich in meinem neuen Buch de facto die Philosophie hinter dem Zupforakel beschreibe, also haben wir beschlossen, manche Sprüche auch im Buch einzuflechten. Jetzt gibt es darin Gedankenschnipsel zum Ausschneiden.

Die aktuelle Weltenlage bietet nicht viel Zuversicht – Brandherde an allen Ecken der Welt, Naturkatastrophen lösen politische ab, tägliche Schreckensmeldungen beunruhigen: Wie bewahrt man sich angesichts der vielen negativen Einflüsse eine positive Haltung?
Das Maß der Katastrophenmeldungen, das wir uns verabreichen, ist enorm wichtig. Ich finde es destruktiv, jeden Tag mehrmals am Handy Nachrichten zu scrollen. Das versetzt uns die ganze Zeit in eine Art dauerhaften Alarmmodus. Das heißt nicht, man soll sich dem Weltgeschehen entziehen, aber halt gut dosiert. Wenn wir uns die ganze Zeit mit diesen Reizen zumüllen, kann es uns psychisch nicht gut gehen. Mir geht es maßgeblich darum, aktiv und positiv in die Welt hineinzuwirken. Das ist kein politischer Rückzug in die Nabelschau, wie das manche Yoga-Leute propagieren, sondern vielmehr die Aufforderung, tatkräftig mitzumischen bei der Gestaltung der Zukunft. Wir Menschen sind Problemlöser, sind evolutionär bedingt gemacht, um mit Schwierigkeiten umzugehen. Es tut uns gut, uns anzustrengen und Lösungen zu suchen. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie viel Einfluss wir haben. Es ist wichtig, positive Visionen zu entwickeln, anstatt zu raunzen. Ich glaube, dass eine schönere Welt, eine gerechtere Welt möglich ist. Ich glaube mir das. Und viele Leute glauben mir das auch. Weil es eine faktenbasierte Zuversicht ist, kein Wischiwaschi, kein Hokuspokus. Untermauern möchte ich das unter anderem mit dem Buch von Hannah Ritchie „Hoffnung für Verzweifelte“, in dem sie unfassbar viele Statistiken zusammengesammelt hat. Etwa wie hoch vor 150 Jahren noch die Kindersterblichkeit war oder wie viele Leibeigene und Sklaven es noch vor 200 Jahren gegeben hat. Damals war es undenkbar, dass irgendwann einmal die Sklaverei abgeschafft werden wird. Aber genau am Höhepunkt ihrer Lukrativität begannen kleine Grüppchen, sich für Menschenrechte einzusetzen. Und es ist etwas völlig Illusorisches in Gang gekommen. Die ärgsten Sachen, im Sinn von positiv, können passieren. Auch heute noch.

Welche Notfall-Tools kannst du an die Hand geben, wenn man an dem Punkt anlangt, wo Ängste und Sorgen einen überwältigen und man sagt: Ich weiß nicht mehr weiter?
Man sollte unbedingt das Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen“ von Viktor Frankl lesen. Darin arbeitet er seine Holocaust-Erfahrungen auf. Und dann gibt es da noch die wunderbare Elisabeth Lukas, seine Thronfolgerin quasi. Ihre Bücher „Distanz zur Angst: das Leben mutig bestehen“ und „Freiheit und Geborgenheit“ sind Heilungsgeschichten, die ultra inspirieren und guttun.

Vielen Dank für das erfrischende Gespräch!

Wordrap

  • Mein Wunschberuf als Kind: Reitlehrerin
  • Die berühmten Drei für die einsame Insel: Sohn eins, Sohn zwei, meinen Hund
  • Mein Sehnsuchtsort: Indien
  • Wen ich gerne einmal treffen würde/getroffen hätte: Viktor Frankl
  • Team Hund oder Katze: Hund, und meinem Sohn zuliebe auch Katzen
  • Serientipp für ein verregnetes Wochenende: White Lotus
  • Mein letzter Konzertbesuch: Patti Smith
  • Was ich schon immer einmal tun wollte, mich aber nicht getraut habe: meine Doktorarbeit schreiben
  • Meine „letzte“ Mahlzeit: Lasagne
Eva Karel gibt nützliche Tools an die Hand, um die Herausforderungen unserer Zeit besser zu bewältigen. zVg
Veröffentlicht am 24. Mai 2025

Artikel teilen
Seite
teilen
Seite
teilen
Seite
teilen
Seite
teilen
Seite
teilen
Seite
teilen
Seite
teilen

Mehr zu diesen Themen:

Nach oben scrollen