Veröffentlicht am 31. Mai 2025

Interview mit Georg Reichlin-Meldegg

„Wir brauchen wieder eine gesunde Mitte“

Georg Reichlin-Meldegg

„Ich vereine in mir die Dualität meiner Eltern. Einerseits die rationale, logisch-analytische Seite meines Vaters und auf der anderen die spirituelle, gspürige meiner Mutter.“ Eine schwere Erkrankung zwang ihn 2020 zum Rückzug in sich, aus der Stadt aufs Land und in die Auseinandersetzung mit der Krankheit. In der familiären Liegenschaft im Krenngraben, einem auch von Gäs­ten genutzter Rückzugsort, der schlicht zum „Einfach sein in Hollenstein“ einlädt, fand er dafür die äußeren Bedingungen. Redakteurin Karin Novak besuchte ihn auf diesem Fleckchen Idyll, wo der Coach wieder beginnt, Klienten zu betreuen. Als Energetiker bietet er auch meditative Klangreisen und feinstoffliche Reinigungen an.

Dein Ausbildungsweg ist ungewöhnlich und verbindet scheint’s Widersprüchliches – von der Aura-Soma-Ausbildung über ein begonnenes Soziologie- und Psychologiestudium zur Coaching-Ausbildung bis hin zum Management-College. Wer oder was bist du?
Ich verstehe mich als Vermittler zwischen den manchmal unvereinbar erscheinenden Welten und Seiten. Um Lösungen zu finden, braucht es oft unterschiedliche Zugänge beziehungsweise einen ganzheitlichen Zugang. Ein schönes Beispiel für mich ist das Casino Zögernitz in Wien, das völlig heruntergekommen war. Der neue Inhaber, ein Immobilien-Entwickler, kam eines Tages auf mich zu und meinte, dieses Objekt sei wie verhext, seit acht Jahren würden alle Versuche einer Revitalisierung scheitern, er sei Widerstände ja gewohnt, aber das sei abnormal und ich möge mir das doch einmal anschauen. Ich verschaffte mir über den riesigen Gebäudekomplex einen Überblick. Der war um die Jahrhundertwende eine Art Vergnügungsareal für die höhere Gesellschaft – mit Konzertsaal, wo Strauss-Uraufführungen stattfanden, einem Casino, Restaurant und Bordell. Ich spürte vor Ort eine eigenartige Energie, hakte nach und erfuhr, dass sich die letzte Besitzerin dort das Leben genommen hatte. Ich begann zu räuchern. Auf einmal nahm ich eine Präsenz wahr, konnte mit ihr – wenn man so will – sogar reden. Ich erklärte ihr, durch den Umbau wolle man die alte Glorie wieder herstellen und das in Abstimmung mit dem Denkmalamt und dem Schutz von Erhaltenswertem. Das gefiel ihr, vor allem hatte sie nun das Gefühl „mitreden“ zu können. Ich machte ihr auch klar, dass sie eigentlich tot sei und endlich loslassen und weiterziehen könne. Es scheint funktioniert zu haben. Im Anschluss sind die Blockaden gefallen und die Bauarbeiten konnten durchgeführt werden.

Das klingt unheimlich …
In der industrialisierten, kapitalistischen Welt ist vieles zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen physischer und energetischer Realität verloren gegangen. Obwohl man sie in unseren Breiten schon noch findet, aber als solche vielleicht gar nicht realisiert. Am Land etwa werden noch immer Ställe geräuchert oder wird zum „Wender“ gegangen. Einige der alten Traditionen wurden auch von der Kirche übernommen bzw. in gewandelter Form integriert. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass viele Kirchen auf alten Kultplätzen stehen oder dass auch in der Kirche noch immer geräuchert wird. Das ist kein Zufall.

Man hat das Gefühl, das Spirituelle erfährt gerade eine Renaissance …
Die Menschen spüren und wissen, da gibt es noch mehr … was für mich den enormen spirituellen Trend erklärt. Auch die Naturheilkunde erlebt ein Revival. Die westliche Welt hat sich lange nur auf die physische, materielle, wissenschaftliche Ebene beschränkt. Ich merke da eine Umkehr. Der Trend zum Spirituellen birgt aber auch Gefahren. Von Naivität über Scharlatanerie bis hin zur Unterschätzung der Wirkkräfte der Natur, des Menschen wie auch der Wesenheiten. Ich kann jedem nur raten, im Umgang gut auf das eigene Herz, die Intuition und das Bauchgefühl zu hören. Es braucht auch hier die gesunde Mitte, eine gesunde Spiritualität. Ich selbst erkenne mich darin als Mystiker und Gnos­tiker. Als einen Menschen, der nach einer persönlichen Erfahrung der Transzendenz und des „Göttlichen“ in sich strebt und an die Erkenntnisfähigkeit, Bewusstseinserweiterung und Befreiung des Menschen glaubt.

Du hast zwar eine Initiation hinter dir, nennst dich selbst aber nicht Schamane. Warum?
Ein Schamane ist per Definition ein ausgebildeter Geistheiler einer indigenen Kultur. Und das bin ich nicht. Wenn überhaupt, würde Hexer zu mir passen. Der Begriff leitet sich von der „Hecke“ ab. Die Hecke, auf der die Hexe, der Hexer mit gespreizten Beinen sitzt, bildet die Grenze zwischen der rohen, wilden Natur und der Zivilisation. Sie oder er vermitteln zwischen dem Reich der Natur und dem des Menschen. Das passt zu mir. Ich bin schon immer zwischen den Stühlen gesessen. Mit sechs Jahren antwortete ich meiner Mutter spontan, ich würde einmal Priester werden wollen. Sie wies mich auf das frauenlose Dasein hin, weshalb ich dies sofort wieder ablegte. Aber wer weiß, vielleicht ändert sich das ja sogar noch in der römisch-katholischen Kirche. Denn viele neue archäologische Funde von diversen Schriftrollen im Nahen Osten wie etwa dem Philippus-Evangelium widersprechen dem Bild eines ausschließlich zölibatären Jesus. Auch Maria Magdalena und im Allgemeinen die Rolle der Frauen im Urchristentum werden in den Apokryphen viel höher und wertschätzender beschrieben. Meine Vermittlerrolle sehe ich auch als Coach, wenn ich zwischen meinem Coachee und seinem Unterbewussten, seinen Bedürfnissen und Zielen vermittle, oder wenn ich im Management zwischen Kunden, Mitarbeitern und dem Unternehmen, dem CEO oder einem Stiftungsrat vermittelt habe. Ich denke, das ist meine Lebensaufgabe, zwischen den diversen Seiten Brücken zu bauen.

Wer hat deine Brücke zur schamanischen Initiation geschlagen? Vorab: Was ist eine Initiation?
Die Initiation ist der Akt, das Ritual und der Prozess des Übertritts. Vom Buben zum Mann. Vom Mädchen zur Frau. Vom Ich zur Gemeinschaft. Vom Unwissenden zum Eingeweihten. Die Erfahrung des Todes und der Wiedergeburt, manchmal sehr symbolisch, manchmal sehr real. Eine Djembe (Anm. d. Red.: eine afrikanische Trommel) war meine Brücke zur Initiation. Ich brauchte für sie ein neues Fell und bin deshalb bei einem hoch am Berg in Osttirol lebenden Irokesen, einem nordamerikanischen Indianer, gelandet. Eine ehrfurchtseinflößende Persönlichkeit mit animalischen, rohen, authentischen Emotionen. Ohne es zu wissen, habe ich am Abend bei existenziellen Fragen, die wir in seiner Kammer gewälzt haben, die Vorprüfung bestanden. Überraschend setzte er dabei eine gruselige Holzmaske auf und nahm sie erst ab, als ich, nicht mehr davon irritiert, weitererzählte. Die Initiation am nächsten Abend kam für mich ungeplant, ein Verschieben hätte der Indianer unmöglich zugelassen. Und so wanderte ich 21-jähriger, unbedarfter Wiener Student im noch kalten Frühling, nur mit einer Decke ausgerüstet, bis über die Schneegrenze, um mich dort eine Nacht lang wach der Wildnis, Dunkelheit wie Ängsten allein zu stellen. Und es ging tatsächlich ums Überleben. Nach zwei sehr intensiven Erfahrungen mit anderen Präsenzen übermannte mich trotz aller Überlebensinstinkte der Schlaf. Ein Todesurteil in dieser Kälte. Ich befand mich dann auch tatsächlich in einem Zustand des Im-Universum-Schwebens, im unendlichen Raum, in dem ich als Georg nicht mehr existierte. Aus diesem Alles und Nichts wurde ich völlig unerwartet und brutal nach unten gerissen und fiel zurück in meinen Körper. Ein unfassbar schmerzlicher Akt, da sich das zurückkehrende Blut in meinen Gliedmaßen wie Tausende Nadelstiche anfühlte. Diese Neugeburt habe ich einer Bärin, die mich gewittert hat, zu verdanken. Aus Sorge um ihr Junges hat sie mich gestellt. Sehr aggressiv, sehr bedrohlich, ich konnte sie durch ein energisches Parolibieten, vor allem aber einem Verständlichmachen, dass ich keine Gefahr bin und mit einem emotionalen Friedensangebot besänftigen. Schließlich zog sie mit ihrem Jungen weiter. Fotos von den frischen Spuren im Schnee, die ich gemacht habe, belegen die äußerst wundersame Begegnung mit diesem sehr seltenen Wildtier.

Hat dir diese Erfahrung auch während deiner Erkrankung geholfen?
Ja, durchaus, ich brauchte die Bärenkraft oft, um mich, aber auch andere zu schützen.

Hast du dir neben der schulmedizinischen Therapie auch Unterstützung von Geistheilern geholt?
Zwischen den Lockdowns habe ich in Peru bei einem Schamanen ein Heilpflanzen-Retreat gemacht, eine Reinigung mit Kambo, einem Froschgift, und auch eine Ayahuasca-Zeremonie, eine Geistreise. Aber auch bei meiner Blutkrebserkrankung, dem follikulären Lymphom, lebe ich beide Welten. Ich habe schulmedizinische Chemotherapie mit Heilfasten unterstützt. Fasten ist meiner Meinung nach die größte unterschätzte Heilmethode, die der Mensch hat. Mit ihm schützt man die gesunden Zellen und hungert die kranken aus. Es kommt nicht von ungefähr, dass es in allen Religionen praktiziert wird. Ich bin überzeugt, dass das Intervallfasten, das ich noch immer anwende, eine wesentliche Säule meiner Heilung ist.

In welchen Bereichen arbeitest du als Coach?
Es gibt Tools aus der Coaching-Ausbildung, mit denen man gut mit dem Unterbewusstsein arbeiten kann, die lassen sich auf fast alle Bereiche anwenden. Ich arbeite aber im Besonderen gerne in den Bereichen, in denen ich aus der eigenen Erfahrung und persönlichen Erkenntnissen qualifiziert bin, wie etwa Depression, Burn-out und jetzt auch Krebs.

Vielen Dank für das Gespräch!

Wordrap

  • Mein Wunschberuf als Kind: Priester
  • Die berühmten Drei für die einsame Insel: eine Frau, ein Schweizer Taschenmesser, einen Wasseraufbereiter
  • Mein Sehnsuchtsort: eine heile Welt
  • Wen ich gerne einmal treffen würde/getroffen hätte: Jesus
  • Team Hund oder Katze: nicht oder, und
  • Serientipp für ein verregnetes Wochenende: Friends
  • Mein letzter Konzertbesuch: U2
  • Was ich schon immer einmal tun wollte, mich aber nicht getraut habe: Alles, was ich geschrieben habe, in ein Buch zusammenführen und dafür einen Verlag zu suchen.
  • Meine „letzte“ Mahlzeit: Bio-Hühnerschnitzel mit selbst gemachtem Erdäpfelsalat in Kürbiskernöl
Veröffentlicht am 31. Mai 2025

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