Veröffentlicht am 2. Mai 2025

„Leseze!chen“ – ein literarisches Juwel in der Stadt am Land

Im Vorjahr wurde mit dem Lesefestival „Leseze!chen“ eine einzigartige Plattform für Literaten und Literatur-Interessierte geschaffen. Auch bei der zweiten Auflage konnten hochkarätige Schriftsteller begrüßt werden

Peter Zanzinger (Land NÖ, Abteilung Kunst & Kultur), Autorin Stefanie Sargnagel und Bürgermeister Werner Krammer (v.l.) bei der Eröffnung der „Leseze!chen“ Literaturtage. © Stadt Waidhofen a/d Ybbs

An vier Tagen wechselten sich junge Talente mit etablierten Autoren – von Ahrer über Franzobel und Kaiser-Mühlecker bis Taschler – ab auf der Bühne des Schlosses Rothschild und begeisterten das lesefreudige Publikum.

Eröffnet wurde das zweite Fes­tival seiner Art von Stefanie Sarg­nagel, die ihren Roman „Iowa. Ein Ausflug nach Amerika“ präsentierte. In ihm beschreibt sie autofiktional ihre Teilnahme am Writer-in-Residence-Program des Grinnell Colleges in Grinnell. Gemeinsam mit der um einiges älteren Berliner Musikerin Christiane Rösinger versucht sie im mittleren Westen der Langeweile zu entkommen, was in allerhand Absurditäten mündet, bis hin zu einem Flug auf einem Pelikan. Gespickt mit amüsanten Anekdoten bereitete sie dem Publikum einen hochvergnüglichen Abend und schrieb im Anschluss geduldig Widmungen.

Von „Autofreier-Tag-Pickerl“ bis zum „Pfitschigogerln“

Eine köstliche Geschichte tischte der in Waidhofen aufgewachsene, international tätige Medienmanager Matthias Settele junior dem Publikum in einer literarischen Matinee am Sonntag im bis auf den letzten Platz ausverkauften Kristallsaal vor dem Mittagessen auf. „Was geschah in der Hammergasse?“, so der kryptische Titel des hundertseitigen Buches. Dabei folgt der Autor der pfiffigen Storyline, dass ein Kriminalbeamter anhand eines 50 Jahre später in einem Testament erwähnten Gewaltverbrechens, sich eines „Cold Case“ des Jahres 1974 anzunehmen hat. Dieses Verbrechen hätte 1974 am Schwarzbach in der der Hammergasse stattgefunden; oder auch nicht. 1974, das Jahr der ersten Energiekrise und des „Autofreier-Tag-Pickerls“, das sich Autobesitzer hinter die Windschutzscheibe zu kleben hatten, ein Jahr, in dem Bälle in längst aufgelassenen Wirtshäusern, Meisterschaften und Skirennen am Schnabelberg stattgefunden haben. Als historische Quelle fungierte dafür stets das Archiv des „Boten von der Ybbs“.

Seien es die ersten Erfolge des Skihandelsschülers und späteren Olympia-Medaillisten von Sarajevo Jimmy Steiner, die beleuchtet werden, oder der Schüler-Sport „Pfitschigogerln“, bei dem mit zwei Schillingmünzen ein Zehn-Groschen-Stück über eine Tischplatte als imaginiertes Fußballfeld bugsiert wird: Erinnerungen, die der Jugendzeit des Autors entnommen sind, werden wachgerüttelt. Es ist die Wanderung durch ein beliebiges Jahr und gleichzeitig durch die Erinnerung der Leserschaft, beziehungsweise des Matinee-Publikums.

Nicht ausgelassen wurden dabei auch cineastische Höhepunkte der Zeit wie die Franz-Antel-Erotik-Komödie „Wenn Mädchen zum Manöver blasen“, die ebenfalls im Jahr 1974 just in Waidhofen gedreht worden ist. Die Auffädelung solcher Erinnerungen schafft die Magie eines nostalgischen Gefühls. Mehr freilich für jene, die an die Siebzigerjahre selbst Erinnerungen haben, denn für Spätergeborene. Dass Settele das Buch im Vorwort als Liebeserklärung an seine Heimatstadt beschreibt, nimmt man ihm ab. Für Waidhofnerinnen und Waidhofner, die sich an die Siebzigerjahre erinnern können, ist die Publikation wohl ein Muss, jedenfalls eine köstliche Regression. Musikalisch sequenziert wurde die Matinee von der Klarinetten-Musi. Das Buch, das reich mit Bildern von Florian Böhm illustriert ist, ist in der Bücherecke Waidhofen zu haben.

Hochkarätiges Finale

Niemand Geringeres als der große Vorarlberger Schriftsteller Michael Köhlmeier beschloss am Sonntag, 27. April, den diesjährigen Festivalreigen. Marlen Mairhofer, erste Stadtschreiberin des Programms „Artist in Residence“, hielt im Rahmen des Lesefestivals selbst eine Lesung, war aber am Finalabend als Moderatorin zugegen. Michael Köhlmeier las aus seinem jüngst erschienenen Buch „Die Verdorbenen“ und fesselte das Publikum mit seiner großartigen Fabulierkunst, die vielen von seinen Hörbüchern bekannt ist, vom ersten Satz weg. Und so erfuhren die Besucher, dass er Langeweile für etwas Gefährliches halte und sich ein wirkliches Rätsel nicht lösen ließe. Der große Erzähler beschrieb, wie ihm der Satz „Einmal im Leben möchte ich einen Mann töten“ zugefallen sei und er ihn angenommen habe, damit ihm die Muse nicht weitere Einfälle verwehre oder etwa Robert Menasse den Einfall aufgreifen könne. Mit feinem Humor führte er durch den Abend und amüsierte das Publikum sogar noch mit der Schlussfrage, die von Marlen Mairhofer dahingehend gestellt wurde, ob es etwas gäbe, das er sich wünsche. Schelmisch anwortete er: „Die Frage kommt für einen 75-Jährigen eindeutig zu spät.“ Und wünschte sich dann – bescheiden – doch etwas: ein Bier nach der Lesung. Das wurde ihm von Bürgermeis­ter Werner Krammer persönlich serviert.

Veröffentlicht am 2. Mai 2025

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