Veröffentlicht am 29. November 2024

Marlen Mairhofer, die erste Stadtschreiberin Waidhofens

Interview mit Literaturwissenschafterin

Marlen Mairhofer hat Anfang September für ein halbes Jahr ihre neue Wohnung im „Impulsquartier“, das offiziell Anfang November eröffnet wurde, bezogen. Im Rahmen des „Artist in Residence“-Programms ist die studierte Germanistin die erste Stadtschreiberin Waidhofens. Die gebürtige Steyrerin kann sich in dieser Zeit ganz dem Schreiben widmen. Begleitet wird die 33-Jährige dabei von Evelyn Schlag, Waidhofens Grande Dame der Literatur. Redakteurin Karin Novak hat bei der promovierten Literaturwissenschafterin nachgefragt

Marlen Mairhofer lebt und arbeitet ein halbes Jahr in Waidhofen. © Mark Daniel Prohaska

Sie sind „Artist in Residence“. Was darf man sich darunter vorstellen?
Das Land Niederösterreich und die Stadt Waidhofen stellen mir ein monatliches Stipendium sowie eine Wohnung in Waid­hofen zur Verfügung, in der ich sechs Monate lang leben und arbeiten kann. In dieser Zeit schreibe ich an meinen literarischen Texten, insbesondere an meinem „Langprojekt“ mit Arbeitstitel „Alice“, und bringe mich aktiv in das kulturelle Leben der Stadt ein, bisher etwa in Form einer Lesung mit Musik von Josef Wagner im Rahmen der Eröffnung des Impulsquartiers Waid­hofen am 6. November, zu dem die „Artist in Residence“-Wohnung gehört. Im April 2025 wird es außerdem eine Lesung von mir beim Waidhofner Literaturfest „Lesezeichen“ geben. Auch ein Literaturworkshop für Schreibinteressierte ist in Planung.

Unsere „Schofkas-Hanni“ kommentiert wöchentlich das (über-)regionale Tagesgeschehen. Die erste Stadtschreiberin Waidhofens als „Hanni 2.0“ zu betrachten, wäre wohl mehr als falsch …
Niemand in meinem Freundes- oder Bekanntenkreis nennt mich Hanni.

Welche Thematik steht im Fokus Ihrer aktuellen Arbeit?
Aufwachsen, Mädchensein, Kleinsein, Großwerden, die Löcher in den Dingen finden, Aufbegehren und sich Fügen, jeweils mehrmals am Tag.
Daneben denke ich, in zaghaften Sätzen, mehr und mehr über Wasser und Ufer nach.

Das Schreckgespenst jedes Schreibenden: Schreibblockade. Kennen Sie dieses Phänomen? Wenn ja, wie gehen Sie damit um?
Das kommt vermutlich darauf an, was man sich unter einer Schreibblockade vorstellt. Nicht schreiben können? Oder: Schlecht schreiben können? Oder: Schlecht schreiben? Ich weiß auch nicht, ob das wirklich die erste Angst ist, die Schreibenden einfällt, wenn man sie fragt, wovor sie sich fürchten. Daher kann ich nur spekulieren, und was ich sage, gilt sicher nicht für alle: Wenn es eine Schreibblockade im Sinne von „gar nicht schreiben können“ ist, dann kann man damit nicht umgehen, darin liegt der Schrecken. Ich kenne das am ehesten aus meiner akademischen Arbeit. Da hilft nichts, am wenigsten Ratschläge. Wenn Schreibblockade bedeutet, dass man schlechter schreiben kann, als erhofft, dann ist das vermutlich der Normalfall des Schreibens: dass es stockend geht, oder man am Ende mehr Streichungen als nicht Gestrichenes vor sich hat, dass man gestört wird oder sich gar nicht erst hinsetzen kann, weil schon wieder irgendetwas anderes so tut, als wär es wichtiger, oder, schlimmer noch, wirklich wichtiger ist; weil man zu müde ist oder zu wach, am falschen Ort, zur falschen Tageszeit, und so weiter und so fort. Hier hilft vielleicht: Tun, so gut man kann, und auf bessere Tage hoffen, um zu überarbeiten. Heißt es „schlecht schreiben“? Dann ist das ärgerlich. Hier würde ich sagen: Aufhören ist in Ordnung, manchmal sogar notwendig. Manchmal lohnt es sich aber auch, weiterzumachen, um am nächsten Tag zu sehen, ob das Geschriebene wirklich so schlecht ist, wie gedacht.

Wie wichtig ist die Schreib­umgebung für den kreativen Akt? Hat Waidhofen das Zeug zum österreichischen Santa Maddalena (Anm. d. Red.: toskanischer Rückzugsort großer Autoren)?
Ich war noch nie in Santa Maddalena. Es gibt Menschen, die hier empfindlicher sind als andere – ich gehöre sicher zu den Empfindlichen. Deshalb genieße ich die Ruhe und den Platz, den ich hier in Waidhofen zur Verfügung habe, sehr. Natürlich entstehen auch an schrecklichen Orten großartige Texte, sonst wäre vieles nicht geschrieben worden. Das ist ebenso beruhigend, wie es furchtbar ist.

In Ihrer Dissertation „In Austausch begriffen. Ökonomien der Differenz bei Marlen Haushofer, Ingeborg Bachmann und Hélène Cixous.“ widmen Sie sich weiblichen Schreibenden. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Waidhofner Grande Dame Evelyn Schlag? Welche Benefits können Sie daraus mitnehmen?
Ich bin in Austausch mit Evelyn und freue mich sehr, dass sie sich die Zeit nimmt, Texte von mir zu lesen und mir zu sagen, was sie denkt. Es ist schön, mit jemandem sprechen zu können, der versteht, was es heißt, in einem künstlerischen Arbeitsprozess zu sein.

Bleiben wir beim Thema Weiblichkeit: Welches Werk sollte Ihrer Meinung nach jede Frau gelesen haben?
Ich denke nicht, dass man Buchempfehlungen gendern sollte. Bücher sind für alle da, egal, ob und wie man sich definiert oder definiert wird, das ist doch das Schöne. Insofern würde ich Büchern, die von sich behaupten, sich nur an ein bestimmtes Geschlecht zu richten, nicht über den Weg trauen. Wie soll man aus all den lesenswerten Büchern auf der Welt ein einziges empfehlen? Vielleicht so: Suchen Sie einen Buchhändler Ihres Vertrauens auf und hoffen Sie, dass er/ sie ein Regal mit österreichischen Neuerscheinungen hat. Wenn nicht, fordern Sie ein solches ein. Greifen Sie munter hinein ins Regal. Legen Sie das gewählte Buch nicht weg, wenn es zufällig ein Gedichtband ist. Sagen Sie mir, was Sie gefunden haben und wie es Ihnen gefallen hat.

Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
Keines, weil ich zum Einschlafen lieber höre als lese. Podcasts vor allem, quer durch die Bank.

Was gefällt Ihnen an Waidhofen im Besonderen?
Vieles! Die zahlreichen Kunst- und Kulturinteressierten und ihre Vereine. Der Wochenmarkt. Die zufälligen und die geplanten Begegnungen mit den Menschen hier. Die Ruhe und das Alleinsein. Die Gewässer. Dass manchmal jemand beginnt, vor meiner Haustür Orgel zu spielen, während ich etwas ganz und gar nicht Sakrales tue, Geschirr abwaschen zum Beispiel, sodass ich innehalte und zuhöre und denke, dass die Zeit, die mir in Waidhofen geschenkt ist, ein großes Glück ist.

Herzlichen Dank für das Interview!

Wordrap

  • Mein Wunschberuf als Kind: Literaturwissenschaftlerin
  • Die berühmten Drei für die einsame Insel: Drei was? Äpfel? Birnen? Lieber drei Äpfel, weil die vermutlich länger haltbar sind als Birnen. Elstar mag ich gern.
  • Mein Sehnsuchtsort: am Wasser oder im Wald
  • Wen ich gerne einmal treffen würde/getroffen hätte: Josef Hader. Glaub ich.
  • Team Hund oder Katze: Kann ich meine Katze grüßen? Hallo Artemis!
  • Serientipp für ein verregnetes Wochenende: je nach Schweregrad „The Office“ oder „Curb Your Enthusiasm“, beides unbedingt auf Englisch.
  • Mein letzter Konzertbesuch: In Waidhofen Elsa Tootsie and the Mini Band“, außerhalb „The Libertines“ (Lido Sounds 2024)
  • Meine Henkersmahlzeit: Ich glaub nicht, dass ich etwas
    essen könnte, kurz, bevor man mich umbringt.

Veröffentlicht am 29. November 2024

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