Veröffentlicht am 24. Januar 2025

Schnee von gestern

Kommentar von Herausgeber Leo Lugmayr

Mit meinem besten Freund, den ich habe, hat sich seit bald drei Jahrzehnten ein Ritual etabliert: Wir rufen einander jeweils am 1. Jänner an, wobei der Anrufer immer die gleiche Frage stellt: „Ob Schnee draußen liegt?“ Die Antwort des Angerufenen ist jedes Jahr ebenso gleich: „Schnee von gestern, Schnee vom vergangenen Jahr!“ Dann lachen wir beide und wünschen einander ein gutes neues Jahr. Damit bringen wir zwei Dinge zum Ausdruck: Einerseits, dass das Vergangene eben vorbei ist und damit an Bedeutung verliert, und andererseits Kommendes, vielfach noch Unbekanntes, auf uns wartet. Steht doch die Redewendung „Schnee von gestern“ in Bezug auf Dinge oder Tatsachen, die nicht mehr von Interesse, nicht mehr aktuell sind. Dieses geflügelte Wort dürfte übrigens auf eine Ballade von François Villon (1431–1463) zurückgehen und ist im 19. Jahrhundert als Redewendung in Gebrauch gekommen.

Der Namensgeber des Monats Jänner (Januar) ist jedenfalls der römische Gott Janus. Dieser wurde traditionell mit zwei Gesichtern dargestellt. Eines blickt nach vorne ins neue Jahr, das andere zurück auf das vergangene. Demnach galt Janus den Römern als Gott des Anfangs und des Endes, der Ein- und Ausgänge, der Türen und der Tore, der Gott allen Ursprungs. Wie verlässlich Schneefall einst war, ist in der Chronik der Mittelschule Ybbsitz nachzulesen. Der pensionierte Schuldirektor, Oberschulrat Alfred Brunthaler, hat in der von ihm akribisch geführten Schul­chronik noch in den 80er-Jahren vermerkt: „Am 10. Oktober setzte in Ybbsitz der Schneefall ein. Am 15. März zeigten sich wieder erste apere Stellen auf den Sonnenhängen.“ Solche Winter sind längst auch „Schnee von gestern“. Trotzdem lassen sich die Ybbstaler Familien den Spaß am Schnee nicht nehmen. Das zeigte sich am vergangenen Wochenende im unglaublich belebten Skitouren- und Familien­skigebiet Forsteralm, im Ybbsitzer Langlauf-Wintertreff Prolling, wo der Kinderskikurs 80 Kinder und deren Familien anzog, zusätzlich Langläufer. Das war auch auf dem Königsberg zu sehen, wo sich am Sonntag 150 Kinder auf der Übungswiese vom Seillift hochziehen ließen. Das erlebt man täglich in den ausgebuchten Skigebieten vom Hochkar bis in die Steiermark.

Janusköpfig könnte man auch politisch den Blick zurück und nach vorne richten, wobei letzterer heuer besonders unsicher ausfällt. Mit dem 3. Jänner wurde die Dreier-Koalition im Bund Vergangenheit und Blau-Schwarz die Zukunft. Mit den Wahlen im Burgenland, den Gemeinderatswahlen am kommenden Sonntag und den Landtagswahlen in Wien ergeben sich zusätzlich spannende Ausblicke in Österreich. Der Urnengang in Deutschland bringt europäische Richtungsentscheidungen und die Angelobung von Präsident Donald Trump mischt weltweit eine neue machtpolitische Gemengelage. (Wenn mich österreichische Zustände ärgern, sage ich gerne scherzhaft: „Dann wandere ich nach Grönland aus!“ Ich muss mir eine neue Destination suchen!)

Doch Blick nach vorne: Es kommt der Februar, dessen Name auch aus dem lateinischen Kalender stammt und so viel wie „reinigen“ bedeutet. Hoffen wir, dass wir mit dem Jahr ins Reine kommen. Übrigens: Zu seinem nächsten Geburtstag werde ich meinem Freund das kürzlich erschienene Buch von Peter Handke „Schnee von gestern“ schenken. Und wenn er sich Zeit nimmt und dieses Stück ins Theater kommt, lade ich ihn zum übernächsten Geburtstag zum Theaterbesuch ein. Aber das ist „Schnee von morgen“.

Veröffentlicht am 24. Januar 2025

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