Veröffentlicht am 25. Oktober 2024

„Unser Anspruch ist die Öffnung zu einem breiteren Kulturverständnis hin“

Peter Hofmayer (l.) und Alois Aichberger © Werner Brunnbauer

„Unser Anspruch ist die Öffnung zu einem breiteren Kulturverständnis hin“ Im Sommer 2021 wurde in Aschbach der Verein 361 Grad aus der Taufe gehoben. Innerhalb kürzester Zeit entwickelte sich dieser zur kulturellen Institution am Land. Nicht zuletzt aufgrund der Programmierung der beiden künstlerischen Leiter Peter Hofmayer (47) und Alois Aichberger (59), die sieben Locations – von Kirchen über Pfarrgarten, Palmenhaus bis Sporthalle – in der Marktgemeinde mit Events abseits des Mainstreams bespielen. Die in der DNA der beiden verankerte Leidenschaft für Kunst und Kultur, ihre langjährige Erfahrung im Kulturbetrieb, vielleicht auch ein klein wenig ihre epikureische Genussfähigkeit sind die zusätzlichen Säulen für den Erfolg des Vereins. Bereits im Dezember wird das Programm für 2025 präsentiert. Heuer stehen noch vier Events an, eines davon sogar als Premiere, quasi eine Uraufführung. Karin Novak durfte die beiden zum Gespräch treffen

Wer hatte die Idee, den Verein 361 Grad zu gründen?
Aichberger:
Das Kulturreferat unserer Gemeinde ist mit Christa Dorner überdurchschnittlich engagiert. Sie war es, die vor Jahren den Kulturstammtisch ins Leben gerufen hat und dort ist auch die Idee entstanden, den Kulturauftrag der Gemeinde auszulagern und in professionelle Hände zu legen. Und wir dürfen das zu unserer Freude machen.
Hofmayer: Es ist schon beachtlich, dass eine Gemeinde in dieser Größenordnung überhaupt ein Kulturbudget aufstellt und erst recht, dass sie die Kulturarbeit outsourct. Wir können das Budget ausschöpfen und sind dabei in künstlerischer Hinsicht völlig frei, geprüft werden wir natürlich schon. Dieses Konstrukt ist tatsächlich sehr speziell und besonders.
Aichberger: Gerade die Gründungsphase hat viel Zeit und Energie beansprucht. In dem halben Jahr haben wir unsere Familien ziemlich vernachlässigt, sind immer zusammengesteckt wie ein altes Ehepaar, gell, mein junger Freund!?
Hofmayer: Die Pandemie war ja über weite Teile terminfrei und bei mir machte sich eine leichte Phase von Unausgelastet-Sein bemerkbar. Es ist eine glückliche Fügung oder Konstellation, dass der Lois und ich immer das Gefühl haben, etwas tun zu müssen, kreativ zu sein, zu schaffen.

Ist die Idee eines Kulturvereins in einer 3.800-Seelen-Gemeinde nicht dennoch ziemlich waghalsig?
Hofmayer:
Waghalsig ist zum Teil unsere Programmierung. Wir bedienen Nischen, die nicht unbedingt die breite Masse ansprechen. Die öffentlichen Gelder erlauben es uns, den klassischen Kulturauftrag zu erfüllen, und das in unterschiedlichen Genres von Klassik, Volksmusik und Jazz über Lesungen bis hin zu zeitgenössischer Musik. Wir sind nicht gezwungen, das herzuholen, was ohnehin ständig im Radio oder Fernsehen zu hören oder sehen ist. Unser Anspruch ist die Öffnung zu einem breiteren Kulturverständnis hin. Und ein klein wenig Pragmatismus ist von meiner Seite auch dabei. Ich habe ja einige Jahre aus beruflichen Gründen in Wien gelebt, in einer kulturellen Hochburg sozusagen. Über den Verein können wir hochkarätige Künstler direkt vor die Haustür holen.

Was hat es mit den 361 Grad auf sich?
Aichberger:
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die ganz einfache und schnellste: 3361 ist die Postleitzahl von Aschbach und 361 sind davon drei von vier Ziffern. Der philosophische, künstlerische Zugang leitet sich vom Kreis ab mit seinen 360 Grad. Indem wir uns nicht im Kreis drehen wollen, braucht es für die Öffnung des Kreises ein Grad mehr, damit wir quasi über den Tellerrand blicken können. Die Öffnung geht auch in Richtung der Gäste, die von überall her herzlich willkommen geheißen werden.

Was war das bisher denkwürdigste Event?
Aichberger:
Wenn wir zurückblicken, sind wir selbst überrascht, was schon alles bewegt wurde in diesen gut drei Jahren. Das Pfarrgarten-Open-Air mit Konstantin Wecker im Vorjahr war für mich etwas sehr Besonderes, das hat mich tief berührt, es war ein sehr persönliches, intimes Konzert.
Hofmayer: Wir konnten gar nicht glauben, dass er in ein kleines Dorf wie das unsere kommt. Wir haben uns ein Jahr lang über seine Zusage gefreut. Die laue Sommernacht tat ihr Übriges, zum ersten Mal hatten wir richtig Glück mit dem Wetter. Die privaten Gespräche nach dem Konzert haben uns einen unfassbar netten Menschen, eine tolle Persönlichkeit kennenlernen lassen. Aber eigentlich waren alle Events in ihrer jeweils besonderen Art denkwürdig.

Was steht heuer noch auf dem Programm?
Aichberger:
Im November kommt der Star-Psychiater Reinhard Haller zu einem Vortrag nach Aschbach (mehr auf Seite 21) und tags darauf die junge, aufstrebende Funk-Band „Spitting Ibex“ (mehr auf Seite 21). Und am 23. November steht eine höchst spezielle Veranstaltung an. Karl Markovics und Pro Brass verbinden Auszüge aus Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“ mit der aberwitzigen und doch ernsthaften Wundermusik Werner Pirchners, einem der bedeutendsten österreichischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Dieses außergewöhnliche Programm feiert seine Premiere in Aschbach.
Hofmayer: Dieses Event verdeutlicht, was 361 Grad meint. Markovics für eine Lesung zu gewinnen, ist großartig, Pro Brass mit einem normalen Programm zu bekommen, ist großartig, aber in Verbindung mit einem Werk, das nach über 100 Jahren aktueller und heutiger denn je ist, das trifft die DNA unseres Vereins. Kultur darf und muss nicht immer Spaß machen. Man darf und soll auch gelegentlich aus einer Kulturveranstaltung kommen können, von der man ergriffen, ja, schockiert ist. Insgesamt wird das Stück heuer zwei weitere Male in Österreich aufgeführt – in Dornbirn und Kuf­stein.
Aichberger: Die letzte Veranstaltung, bevor das neue Programm Mitte Dezember präsentiert wird, ist „Peter und der Wolf“ mit dem Ketos Quintett. Uns ist es ein großes Anliegen, dass auch die Kinderprogramme eine gutes musikalisches wie thematisches Niveau haben.

Apropos Kinder: Ihnen ist es wichtig, den Nachwuchs an Kunst und Kultur heranzuführen. Das ist ja bei der Louie’s Cage Percussion bestens gelungen!
Hofmayer: So viele Kinder hatten wir noch nie bei einem Konzert außerhalb des Kinderprogramms. Wir haben 45 Kindertickets ausgegeben! Kinderticket bedeutet, dass die Kids ein Null-Euro-Ticket „kaufen“, das genauso aussieht wie ein Originalticket, aber bis 15 Jahre gratis ist.

Welchen Künstler würden Sie sich von der guten Fee wünschen, sprich, auch das Unmögliche ist erlaubt?
Aichberger:
Da fällt mir eine ganze Armada ein! (längeres Nachdenken) Ich wünsche mir das Freiburger Barockorchester, das ist so fein und elegant.
Hofmayer: Ich sage Jordi Savall, der großartige spanische Musiker und Spezialist für alte Musik.
Aichberger: Ah, dann nehme ich Asmik Grigorian. Man sieht, die Frage ist nicht einfach zu beantworten.
Herr Hofmayer, Sie sind Bundesgeschäftsführer der Österreichischen Jugendmusikwettbewerbe, künstlerischer Leiter des Vereins 361 Grad, Organisator des Musikfestivals ZOA in Ardagger Stift – bleibt Ihnen bei Ihren vielen Tätigkeiten noch Zeit, selbst Musik zu machen?
Hofmayer: Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Darum sind die Grenzen, wo Arbeit endet und Freizeit beginnt, oft fließend. Bei all der Arbeit hat man ja auch oft enorme Freude und bekommt sehr viel an Wertschätzung zurück. Darüber hinaus bin ich in der glücklichen Lage, dass meine Familie hinter meinem Tun steht. Aber zurück zur Frage: Selbst zu musizieren, ist mir immer noch extrem wichtig.

Herr Aichberger, Musik ist auch Ihr Lebensmittelpunkt. Sie waren Begründer der 90er-Jahre-Formation „Trompeteria“ und vom FWO (Future Wind Orchestra), sind heute Leiter der Musikschule Mostviertel, künstlerischer Leiter des Vereins 361 Grad und Bandleader der LA BigBand. Bleibt noch Zeit für weitere Leidenschaften?
Aichberger: Aber natürlich, Rotwein, zum Beispiel, der geht fast immer. (lacht) Wein ist schließlich auch Kultur. Wie Peter schon gesagt hat, man geht ja nicht raus aus dem Beruf und alles ist anders oder weg. Es ist auch die Freizeit mit Kultur gefüllt. Man sucht selbst die Urlaube entsprechend aus. Ein All-inclusive-Urlaub käme für mich nicht infrage, ich muss was sehen, Land und Leute kennenlernen, am besten verbunden mit Genuss. Mein Sport ist altersbedingt homöopathisch. Ich bewege mich eigentlich nur aus dem Grund, um mir den Genuss leisten zu können. Und alles, was dann noch an Freizeit übrigbleibt, geht an die Familie.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Veröffentlicht am 25. Oktober 2024

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