Die Künstlerin Sonja Raab ist eine beeindruckende Frau. Unangepasst, unbeirrt und weltoffen geht sie seit ihrer Jugend ihre eigenen Wege. Die weite Welt und ihre Weltoffenheit hat sich die 49-Jährige schon als Kind über internationale Brieffreundschaften in das kleine Fischerdorf Opponitz geholt. Zu Spitzenzeiten pflegte sie 60 Kontakte. Ihre Passion fürs Schreiben lebt die dreifache Mutter noch heute als Dichterin für Haiku (Anm. japanische Dichtkunst) aus oder schreibt bei Bedarf Interviews für eine Wochenzeitung. 20 Jahre steckte sie ihr soziales Engagement in die Flüchtlingshilfe, vielleicht weil sie selbst nach einer Scheidung erlebte, wie schwierig es ist, eine Familie durchzubringen. Heute ist sie gefragte Kunsthandwerkerin für die fast in Vergessenheit geratene Klosterarbeit. Redakteurin Karin Novak durfte sie in ihrem Atelier, das einer kleinen Zauberwelt gleicht, besuchen, ihr beim Arbeiten über die Schultern schauen und bei Kaffee und selbst gemachten Topfengolatschen ein anregendes Gespräch führen

Aktuell arbeitest du an einer Goldhaube. Üblicherweise wird diese Kopfbedeckung von Generation zu Generation weitergegeben. Wie bist du zu dem Auftrag gekommen?
Der Weg von der Klosterarbeit zur Goldhaube war kein weiter, eher der Weg zur Klosterarbeit. (lacht)
Gut, dann beginnen wir damit. Wie bist du zur Klosterarbeit gekommen?
Ich habe ein Interview mit einer Opponitzerin auf ihrem Bergbauernhof geführt. Über sie habe ich Klosterarbeiten kennengelernt. Ich habe mir beim Zuschauen gedacht, diese Futzelarbeit ist ja ein Wahnsinn und hab sie gefragt, ob das nicht einfacher wäre, wenn man es kleben würde. (lacht) Sie hat mich entsetzt angesehen. Kurz darauf erhielt ich einen Newsletter des Stifts Seitenstetten, wo ein Kurs für Klosterarbeiten angeboten wurde. Die Technik hat mich so fasziniert, dass ich an zwei Wochenenden dort die Grundlagen gelernt habe. Bis auf eine waren alle Teilnehmerinnen um sehr vieles älter als ich und widmeten diese Kunst dem Schmücken von Heiligenbildern, Kruzifixen oder Madonnen. Ich bin zwar spirituell, aber nicht religiös im kirchlichen Sinn und hab mich gefragt, was eigentlich mir heilig ist. Und so habe ich begonnen, die Tierschädel aus der Holzhütte meines Großvaters zu schmücken. Einen davon habe ich innerhalb einer Woche nach Wien verkauft und so bin ich auf die Idee gekommen, daraus ein Gewerbe zu machen. Im Lauf der Jahre haben sich daraus sehr viele Möglichkeiten ergeben, von der Brautkrone zur Eisenstraßen-Tracht bis hin zu Haarspangen, -kämmen, -reifen und -nadeln. Mittlerweile arbeite ich mit dem Mode-Atelier Fénix in München zusammen und vor dem Opernball hat Mode-Expertin Martina Reuter meinen Haarschmuck in „Guten Morgen Österreich“ vorgestellt. Ich wusste selbst nicht, wann die Ausstrahlung sein wird. Man kann sich die Sendung aber in der Mediathek des ORF und auf YouTube anschauen.
Und wie bist du nun zur Goldhaube gekommen?
Von der Eisenstraße-Krone zu einer schwarzen Perlhaube war es dann kein großer Sprung. Und auf die ist eine Dame aufmerksam geworden, hat sie gekauft und gefragt, ob sie bei mir eine Goldhaube in Auftrag geben kann. In der stecken aktuell über 150 Arbeitsstunden, 200 bis 400 wird es brauchen. Ich muss jedes Teil selbst vorbereiten, von Goldplättchen vierfach lochen bis Drähte in fünf Millimeter Stückchen schneiden und nach dem Annähen das draufgeheftete Papier mit dem vorgezeichneten Muster mit einer Pinzette abzupfen. Das ist mir die nervenaufreibendste Arbeit. Ich hoffe, bis zum Sommer fertig zu sein, weil mehr als zwei Stunden am Tag gehen sich nicht aus. Es erfordert einfach hohe Konzentration und leider eine gebückte Haltung. Aber ich liebe diese Arbeit, sie ist für mich eine Art Meditation. Nebenbei höre ich zum Ausgleich Psychothriller und True-Crime-Hörbücher mit viel Mord und Totschlag, alles in allem also eine sehr blutige Angelegenheit. (lacht)
Das klingt unleistbar …
Teuer ist so eine Goldhaube schon. Man arbeitet mit vergoldeten Drähten und Pailletten, Goldfolien und „Handwebe“, einem mit Goldfäden gewebten Stoff, je nach Muster bewegt sich alleine das Material zwischen 700 und 1.200 Euro. Die Kundin war aber bereit, sowohl Material, Kurse, Fahrtkosten und einen Teil der Arbeitszeit zu bezahlen. Wer mir beim Arbeiten einmal zuschauen möchte, ist – gegen Voranmeldung – herzlich eingeladen, bei mir vorbeizukommen. Dann versteht man besser, dass so eine Goldhaube ihren Preis hat.
So manch einer kennt dich von früher aus der Gastronomie …
Ja, stimmt, ich habe seinerzeit im Türkenpfeiferl, einem Haubenlokal in Waidhofen, im Service gearbeitet. Ich weiß heute noch, wie man einstellt, abserviert, Servietten faltet, Fisch filetiert oder Crêpe Suzette zubereitet. Das hat aber nicht so recht zu mir gepasst. Nach der Arbeit habe ich sofort die weiße Bluse, den schwarzen Rock und die Lackschuhe gegen Fetzenjeans, Lederjacke und Cowboy-Stiefel getauscht und hab mit meinem Großcousin Reinhard Mandl die Stadt unsicher gemacht. Mein Ruf war kein guter. (lacht)
Man kennt dich aber auch als engagierte Flüchtlingsbetreuerin?
Als ich vor 20 Jahren nach meiner Scheidung zurückgekommen bin, wurde in Opponitz jemand für die Flüchtlingsbetreuung gesucht. Ich habe mich darum angenommen, weil ich keine Berührungsängste habe und ich mich immer schon für andere Kulturen und Religionen interessiert habe. Wenn es jemand gäbe, der das weitermachen würde, ich könnte denjenigen gerne mit Tipps unterstützen, aber 20 Jahre sind genug.
Deine Aufgeschlossenheit hat dich bis nach Kanada gebracht.
Ja, und zwar aufgrund einer Brieffreundschaft, die sich über viele Jahre entwickelt hat. Nijanani und ihr Mann Augiak Novalinga haben mich danach sogar zweimal in Opponitz besucht. Augiak war Inuit-Schamane und beide haben mich mitgenommen zu den heiligen Stätten der Inuit. Wir haben die Petroglyphen bestaunt, mit den Wölfen geheult, Wunderschönes miteinander erlebt. In manche Gebiete darf man nur, wenn man aboriginal ist. Nijanani hat mich einfach als ihre Tochter vorgestellt. Und so falsch war das nicht, sie waren für mich tatsächlich meine Geisteltern. Ghost-Daddy hat sich von all seinen Freunden und auch von mir singend verabschiedet. Er saß im Altersheim und ließ uns per Video-Aufnahme an seinem Sterben teilhaben. Ich hab Rotz und Wasser geheult, so wie damals, als ich zurückgeflogen bin aus Kanada. Es gab Überlegungen, mit den Kindern dorthin auszuwandern. Aber dann hätte ich nicht jedes Wochenende meine Oma besuchen können. Sie war mir eine wichtige Bezugsperson. Von ihr habe ich vieles gelernt: Socken stricken, Gulasch kochen, Wurstknödel machen, oder Geschichten übers Fluchen, Zaubern, Hexen. Mich hat beeindruckt, dass sie trotz der Härten in ihrem Leben ein derart lebensfroher Mensch geblieben ist.
Kann man sagen, dass dir das Feinstoffliche wesentlich mehr bedeutet als das Materielle?
Auf jeden Fall. Nijanani hat mich einmal gefragt, wie wir in Österreich unsere Spiritualität leben. Dazu ist mir echt nichts eingefallen. Ich bin mit dieser Frage zu meiner Oma gegangen. Die hat dann zu erzählen begonnen. Unter anderem von der Lassingbäuerin, die zwar keine Schweine und somit kein Fett hatte, aber trotzdem Faschingskrapfen rausgebacken hatte. Sie haben als Kinder beim Fenster reingeschaut und gesehen, wie sie Kröten angelockt hat, die in den Topf spuckten. Da drinnen hat sie angeblich die Krapfen rausgebacken. Solche Geschichten hatte sie viele auf Lager. Ich habe sie irgendwann aufgeschrieben, damit sie nicht verloren gehen. Was das Materielle betrifft, bin ich der Überzeugung, dass es nicht viel zum Leben braucht. Es sind nicht die neuesten Handys oder Markenklamotten, die man braucht, oder viel Geld für die Freizeitgestaltung. Meine Kinder sagen noch heute, ihre Kindheit war die schönste. Sie waren die meiste Zeit an der Ybbs oder im Wald, sind in Schluchten herumgerannt und haben Schlangen heimgebracht. Sie hatten ein Leben voller Abenteuer und sind heute noch bodenständig und naturverbunden. Das hat zum Beispiel gar nix gekostet.
Wenn die gute Fee käme, was würdest du dir wünschen?
Gesund bleiben, weil sonst alles andere nichts zählt, einen Wal in freier Wildbahn beobachten und einmal nach Albanien fahren.
Vielen Dank für das Gespräch!
Wordrap
- Mein Wunschberuf als Kind: Pferdepflegerin
- Die berühmten Drei für die einsame Insel: einen Werkzeugkasten, mein Mann und Audible-Hörbücher
- Mein Sehnsuchtsort: Kanada
- Wen ich gerne einmal treffen würde/getroffen hätte: André Heller und Ferdinand von Schirach
- Team Hund oder Katze: beides
- Serientipp für ein verregnetes Wochenende: Shameless
- Mein letztes Konzert: Jan Delay in Wien
- Was ich schon immer einmal tun wollte, mich aber nicht getraut habe: ins Auto zu steigen und einfach drauflosfahren, in die Welt hinaus
- Mein letztes Gericht: Germknödel

