Kommentar von Herausgeber Leo Lugmayr
Am 15. November steht eine Premiere auf dem Programm: Die Waidhofner Volksbühne lädt Kinder – und explizit auch Erwachsene – zur Aufführung des Märchens „Schneewittchen und die sieben Zwerge“.
Warum tut das die Volksbühne? Das könnte man sich fragen. Denn es ist nicht schwer zu erraten, dass eine Theaterproduktion in aufwendiger Kostümierung und bei vergleichsweise moderaten Eintrittspreisen für Kinder und Familien sowie wenigen Vorstellungsterminen nicht wirklich ein gutes Geschäft sein kann. Ist es auch nicht, erfährt man auf Nachfrage bei der Volksbühne, man sei eher froh, einigermaßen kostendeckend auszusteigen. „Es ist ein Service an die Jugend“, heißt es einhellig.
Aber sind Märchen denn noch zeitgerecht? Transportieren sie nicht völlig überkommene Wertvorstellungen? Mitnichten, kontert der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther von der Universität Göttingen. Denn Märchen erzählen von Freundschaft, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Wahrheitsliebe – von dem, was im Leben wirklich zählt. Diese Werte Kindern nahezubringen, sei heute wichtiger denn je. „Unser Gehirn braucht Märchen!“, sagt Universitätsprofessor Gerald Hüther.
Kritikerinnen und Kritiker bemängeln, Märchen würden teils überholte gesellschaftliche Ideale widerspiegeln, transportierten ein völlig veraltetes Frauenbild und enthielten für Kinder überfordernde, grausame Darstellungen. Die renommierte deutsche Entwicklungspsychologin Barbara Senckel sieht das differenzierter. Im Interview für das Bayern 2 Magazin Theo.Logik erklärt sie, warum Märchen Kindern Kraft geben und immer aktuell bleiben. Barbara Senckel: „Märchen stärken die Kinder, wenn sie zu ihrer Entwicklungsthematik passen und einen positiven Lösungsweg für die inneren Konflikte anbieten. Märchen schildern in symbolischer Form Lebensprobleme, mit denen sich Menschen seit eh und je herumschlagen. Auf symbolischem Weg stellen sie die psychische und soziale Wirklichkeit dar. Und zu ihr gehören auch der Konflikt und das Böse. Schon Kinder setzen sich mit dieser Tatsache auseinander. Märchen helfen ihnen dabei, das auf eine konstruktive Weise zu tun. Denn in ihnen siegt am Ende immer das Gute. Das verleiht ihnen Mut und Hoffnung, sich ihrer oftmals schwierigen Lebensrealität zu stellen.“
Und Tatsache ist, und das weiß jeder, der Kinder oder Enkelkinder hat: Kinder lieben Märchen. Auch wenn jährlich Zehntausende neue Kinderbücher erscheinen – die Märchen von Rotkäppchen, Frau Holle, Aschenputtel oder Schneewittchen verlieren nie ihren Reiz.
Ein weiterer Grund, warum die Volksbühne regelmäßig ein Märchen in den Spielplan aufnimmt, ist, dass sich darin neue, junge Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne in teils kleinen Rollen ausprobieren können. Außerdem will man im Zeitalter der Smartphones Kindern ein alternatives Erlebnis bieten und Jugend zum Theater bringen.
Auch wenn die sogenannte „gute alte Zeit“ in allzu vielen Aspekten nicht wirklich gut war: Auf ein Märchen darf man sich einlassen, sagen die Psychologinnen und Psychologen, vor allem dann, wenn Eltern, Oma oder Opa das Märchen mit dem Kind erleben und ihm dabei das Wichtigste schenken, was eine ältere Generation Heranwachsenden schenken kann: Zeit, Empathie, Aug-in-Aug-Kommunikation und gemeinsames Erleben. Ich bin gespannt, wie die Volksbühne „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ anlegt!